zum Gedenken

Thomas Müntzer

geboren um 1489 in Stolberg (Harz)
Universitätseinschreibung im Jahre 1506 in Leipzig
hingerichtet am 27. Mai 1525 bei Mühlhausen (Thür.)

Mühlhausen

Thomas-Müntzer-Stadt

(Anläßlich des 450. Todestages von "Thomas Müntzer" erhielten der Geburtsort Stolber und der Sterbeort Mühlhausen den Beinamen "Thomas - Müntzer - Stadt". Selbstverständlich mußten diese Zusätze nach der Wiedervereinigung wieder gestrichen werden. Ein Grund dafür mag schon folgender Spruch von "Thomas Müntzer" sein: "...Jesus sei im Viehstall geboren; er stehe auf Seiten der Armen und Unterdrückten. Die, die sich in Pelzmäntel kleiden und auf Seidenkissen sitzen, sind Christo ein Greul.")

Ein Artikel aus der Illustrierten "Für Dich" Ausgabe 31/89

"Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Volk ..." Diese Forderung von Thomas Müntzer konnte zu seiner Zeit nur Utopie bleiben. Über vier Jahrhunderte mussten vergehen, bis seine Ideen verwirklicht werden konnten - in unserem Land, in der Stadt Mühlhausen, seinem letzten Wohnort, der seit 1975 seinen Namen trägt.
Die Kreisstadt in Thüringen ist heute eine Industriestadt, die sich sehen lassen kann. Besonders reizvoll das Nebeneinander von mittelalterlichem Stadtkern und modernen Neubauten. In diesem Jahr gibt es ein denkwürdiges Ereignis: Der 500. Geburtstag Thomas Müntzers wird begangen.
Das Brunnenhaus in Popperode ist Teil der zentralen Gedenkstätte "Deutscher Bauernkrieg"

Im Jahre 1199 soll es gewesen sein, da bebte in unseren Breiten die Erde, so daß „davon in ganz Deutschland viel Gebäude und Thürme umgefallen" sein sollen. Die Auswirkungen dieses Bebens sind längst nicht mehr zusehen - bis auf eine. In Mühlhausen hatte sich damals bei Popperode die Erde aufgetan und eine Quelle entstehen lassen. Und diese fließt noch immer. Sie soll sogar so stark sprudeln, daß man darin nicht untergehen könne. Das freilich erzählen die Einheimischen den Fremden beim Bier. Wahr aber ist, dass die Mühlhäuser dieses Wasser schon bald nutzten. Sie legten Dämme und Gräben an, leiteten es durch die Stadt, trieben Mühlen damit an und ließen es sogar unter dem Rathaus durchfließen. An dieser Stelle hieß der Popperöder Bach allerdings schon Schwemmnotte, und er hielt in der unter dem Rathaus gelegenen Markthalle die Fische frisch. Und die Gefangenen gleich mit, denn das Verlies war nicht weit davon.

Von solcherart Erschütterungen ist Mühlhausen in den folgenden Jahren verschont geblieben. Dafür gab es andere, die nicht minder heftig waren. Gemeint sind hier vor allem die Jahre um 1525, die Zeit des Deutschen Bauernkrieges, das Wirken des Pfarrers von St. Marien - Thomas Müntzer. 1524 kam Thomas Müntzer das erste Mal nach Mühlhausen: Er war auf der Flucht aus Allstedt. Hier nämlich hatte er nicht nur die Psalmen und Gebete für seine Gemeinde in die deutsche Sprache überträgen, hier hielt er am 13. Juli 1524 seine "Fürstenpredigt": Wenn die Fürsten die ihnen zugedachte Aufgabe, Schutz und Schirm zu sein, nicht erfüllen, dann müsse "den Obrigkeiten das Schwert entrissen werden". Damit freilich rüttelte er an den Festen der Feudalmacht und konnte sich nur durch die Flucht einer Gefangennahme entziehen. Das war in der Nacht vom 7. zum 8. August.

"Richtig" ansässig wurde Müntzer dann im Februar 1525. Da nämlich wurde ihm das Amt übertragen, "die Bibel zu singen und zu predigen". Und das in der größten Kirche der Stadt, der Marienkirche, die dann in der Folge zum Schauplatz eines weitreichenden weltlichen, eines hochpolitischen Ereignisses wird: 800 Bürger der Stadt entscheiden hier am 16. März, den alten Rat abzusetzen, wählten den "Ewigen Rat". Eine der ersten Entscheidungen war die Verteilung von Korn und der Verkauf von Vieh zu vernünftigen Preisen. In den Mauern der Marienkirche aber fand dann auch die Siegesfeier des Adels statt nach dem blutigen Ende, nach dem Tode von Thomas Müntzer, Heinrich Pfeiffer und der anderen Mitstreiter. Die traditionsgeladene Kirche, eine von 13 in der Stadt, ist heute Teil der Zentralen Gedenkstätte "Deutscher Bauernkrieg". Dazu gehören auch die Kornmarktkirche. das Rathaus, die mittelalterliche Stadtbefestigung, das Heimatmuseum und das Brunnenhaus in Popperode.

Die Kornmarktkirche, das Zentrum der Zentralen Gedenkstätte, war für die Aufständigen damals Versammlungsort und Waffenarsenal. Im März 1975 ist sie als Gedenkstätte wiedererstanden und am 28. Februar dieses Jahres nach einer Umgestaltung rechtzeitig zur 500-Jahr-Feier des großen Sohnes der Stadt mit einer neuen Ausstellung wiedereröffnet worden. Ursachen und Verlauf dieser frühbürgerlichen Revolution können hier in Zeugnissen besichtigt werden, aber auch spätere revolutionäre Bewegungen - die Geschichte der Arbeiterklasse bis in unsere Zeit.

In der thüringischen Kreisstadt, zwischen Hainich und Oberem Eichsfeld an der Unstrut gelegen, ist Müntzers Erbe überall gegenwärtig. Natürlich auch im Rathaus, das gar kein einzelnes Haus ist, sondern ein ganzer Gebäudekomplex, bestehend aus einem Gefüge von Bauten, Torbogen, Eingängen und Plätzen. Gebaut wurde es vom 13. bis zum 17. Jahrhundert und vereinigt so Gotik und Renaissance in sich. Für Besucher steht es heute nicht nur zu den Sprechzeiten offen, Gäste können sich durch das historische Gemäuer führen lassen, durch die Rathaushalle mit dem Bild „Thomas Müntzer setzt den Ewigen Ratein", durch die Ratsstube, wo jener Rat vom 17. März bis 25. Mai seine Entscheidungen traf. Der "Ewige Rat" damals - wir wissen es heute besser konnte keinen Bestand haben zu jener Zeit. Ebenso mussten Müntzers Worte "Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Volke ..." für Jahrhunderte eine Utopie bleiben.

Bewahrens- und Erhaltenswertes gibt es in Mühlhausen nicht nur auf Müntzer und den Bauernkrieg bezogen. Vom Alltagsleben der Bürger vor Jahrhunderten zeugen schmale Fachwerkhäuser, winklige Gassen mit Kopfsteinpflaster - der mittelalterliche Stadtkern. 278 denkmalgeschützte Gebäude hat die Stadt. Das ist reizvoll und bereitet Kopfzerbrechen zugleich. Denn wer hinter einer solchen Fassade wohnt, möchte dies mit dem Komfort von heute. So steht oftmals die Frage nach Aufwand und Nutzen, und die Antwort wird sehr ernsthaft abgewogen. Wobei die Devise lautet: Was machbar ist, wird gemacht.

Von den 44.000 Einwohnern leben heute 8000 in einer rekonstruierten oder modernisierten Wohnung, und 15.000 sind in einem der gänzlich neuerstandenen Stadtviertel zu Hause.
"Aktivistenring" hieß das erste Neubaugebiet, in dem in den 50er Jahren Stein auf Stein die ersten neuen Wohnungen entstanden. Im Bereich Windeberger Straße/Damaschkestraße dann wurde bereits in Plattenbauweise gearbeitet, und 1974 wurde hier die erste ferngeheizte Wohnung übergeben.

Das Hotel "Stadt Mühlhausen" - eines der neuen Wahrzeichen der über 1000 Jahre alten Stadt. (Für Interessierte gibt es hier mehr zum Hotel vom Aufbau bis Abriss)

Natürlich hat das Bauen noch längst kein Ende. Gerade ist das Jakobiviertel fertig geworden, wo Großplatte, Ziegelneubau und Rekonstruktion sozusagen eine Dreieinigkeit gebildet haben. Seit dem 1. April steht der Kran nun in der Ballongasse. Daneben entstehen überall in der Stadt alte Fassaden in neuer Schönheit, werden Schornsteinköpfe, Regenrinnen, Putz und Gehwege in Ordnung gebracht. Das alles geht nicht ohne Partner. In Mühlhausen heißen sie Feierabendbrigaden und Interessengemeinschaft. Zu letzterer gehören viele Betriebe der Stadt, 60 an der Zahl. Allen voran natürlich die grössten: der VEB Mikroelektronik "Wilhelm Pieck", Hersteller von Taschenrechnern und Kleincomputern; der VEB Cottana, Alleinhersteller von Berufsbekleidung; der VEB Mülana mit seiner Obertrikotagenproduktion. Und natürlich die LPG "Thomas Müntzer", die jährlich 7000 Tonnen Obst und Gemüse frisch, als Konserve oder tiefgefroren in den Handel bringt. Mit starken Partnern kann man starke Ergebnisse erzielen. Eines der seit 1987 bestehenden Interessengemeinschaft ist das Haus der Dienste in der Gustav-Mahler-Straße - entstanden in 180 Tagen!

Wer so arbeitet, der soll auch richtig feiern. Und dafür gibt es in der Thomas-Müntzer-Stadt vor allem in diesem Jahr reichlich Gelegenheit. Das begann am 4. Januar mit einem Eröffnungskonzert in der Marienkirche, das ging weiter mit der "Woche der Waffenbrüderschaft", Auftritten des Thomaner-Chores. Im Juni waren die 20. Thomas-Müntzer-Festspiele der sozialistischen Landwirtschaft, im Juli ein Fest der Volksmusik. Als große Höhepunkte folgen noch die "Mühlhäuser Kirmes", die einzige Stadtkirmes in unserem Land, ein Schützenfest und der traditionelle Palmenmarkt: Dies alles natürlich "unter anderem". Wer es genauer wissen will, die MühlhausenInformation erteilt freundlich Auskunft.

Auch über das Naherholungsgebiet Schwanenteich, nicht weit vom Popperöder Brunnenhaus. Hier kann man essen, trinken, wandern, schwimmen oder sich ein Boot ausleihen. Erholungsmöglichkeiten bietet auch der 13 Hektar große Thomas-Müntzer-Park an der östlichen Stadtgrenze. Restaurant, Freilichtbühne und viel Grün laden hier zum Verweilen ein. Manch einer schwärmt freilich auch für den Steinweg, den Fußgänger-Boulevard der Stadt.

Wer nach all dem, nach Kornmarktkirche, mittelalterlicher Stadtmauer, nach Heimatmuseum, Brunnenhaus, nach Altstadt und Neubauviertel, nach Schwanenteich und Thomas-Müntzer-Park noch immer nicht genug hat, der kann noch einmal ins Rathaus zurückgehen. Hier nämlich ist noch eine Schatzkammer verborgen - das ehemalige Reichsstädtische Archiv. Es ist das größte Kommunalarchiv Thüringens und beherbergt unter anderem 2000 laufende Meter Akten, den diplomatischen Schriftverkehr des Rates von 1382 bis 1802; eine ständige Ausstellung bietet einen Gang durch die Geschichte anhand von Dokumenten.

Wer zudem das Glück hat, den Chef des Archivs anzutreffen, erfährt auch noch interessante Geschichten.

Dr. Gerhard Günther wird zwar nicht den Müntzer-Brief aus dem Panzerschrank holen, aber vielleicht über die Frau Thomas Müntzers, Ottilie von Gersen, eine ehemalige Nonne, erzählen. In für damalige Zeiten beeindruckender Weise hat sie ihren Mann in seiner politischen Arbeit unterstützt. Der Besucher erfährt, wie die tapfere Ottilie versucht hat, Habe, Bücher und Kleidung ihres Mannes nach dessen Hinrichtung zu erhalten. Ein Klagebrief von ihr an den Herzog Georg ist erhalten geblieben. Nachdem alles erfolglos war, hat sie dann Mühlhausen in Richtung Erfurt verlassen. Hans Ditmar, ein Fuhrmann, nahm sie mit - "Um Gottes Willen, da sie kein Geld hatte ..."


gefunden in "Für Dich" 31/89 - Text: Lothar Beutlich


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© infos-sachsen / letzte Änderung: - 04.04.2023 - 18:54