zum Gedenken
Verbrennen oder nicht verbrennen?

Kam zu früh mit seinen Ideen und geriet zwischen die Fronten: Reformator Jan Hus, 1415 in Konstanz verbrannt. Foto: Reproduktion: Ullstein

Wer war der Mann, Macher und Mönch, der vor 500 Jahren die Reformation auslöste? Die "Freie Presse" zeigt bis zum Jubiläum des historischen Thesenanschlags am 31. Oktober zu jedem Monatsende eine andere Facette Martin Luthers. Heute: Der Wittenberger und sein Verhältnis zu anderen Reformatoren.

Von Tim Hofmann

erschienen am 29.07.2017

Die Idee ist naheliegend: Wenn es einen allmächtigen Gott gibt - wozu sollte er menschliche Stellvertreter benötigen, eine ganze Organisationshierarchie gar? Sollte so ein Gott nicht mühelos in der Lage sein, all seine Ansinnen direkt durchzusetzen? Und müsste es nicht, ginge man von der Notwendigkeit einer bedingungslosen Verehrung dieses Gottes aus, geradezu anmaßend, ja lästerlich sein, ihm das nicht zuzutrauen? Denn nichts anderes bedeutet eine zwischengeschaltete Hierarchie schließlich: Stellvertretung.

Ja, Martin Luther sah da einen eklatanten Widerspruch: Wenn der Papst der Stellvertreter Gottes auf Erden sei, dann könne er ja wohl nur dann das Sagen haben, wenn die eigentliche Nummer 1 abwesend sei. Wie gesagt, der Gedanke liegt nahe: Luther war daher längst nicht der erste Gläubige, dem er kam: Bereits im 14. Jahrhundert forderte beispielsweise der Theologe und Philosoph John Wyclif (vor 1330-1384) ein sogenanntes "König-Gottes-Gnadentum". Seine Überzeugung: Macht kann nur durch Gott direkt an einen Menschen übertragen werden. Seine Lehre, die in seiner englischen Heimat schnell populär wurde, billigte Geistlichkeit und Kirche keine besondere Befugnis zu - sie sollten sich seiner Ansicht nach vor allem bescheiden und demütig geben. Der Kirche galt Wyclif ergo schnell als gefährlicher Häretiker - dennoch lebte der Mann lange und in Frieden: Dass er erst 30 Jahre nach seinem Tod zum Ketzer erklärt werden konnte, lag vor allem an seinem großen Rückhalt sowohl im Volk, als auch bei König und Adel, denn Wyclif schlussfolgerte auch die Unterordnung der Geistlichkeit unter die weltliche Herrschaft.

Jan Hus Jan Hus (Foto: Wikimedia Commons)

Wie sehr solche theologischen Fragen mit dem jeweiligen politischen Machtgefüge ihrer Zeit verbunden sind, zeigt sich auch am Beispiel des tschechischen Reformators Jan Hus (um 1370-1415), der sich 100 Jahre vor Luther auf Wyclif berief und dessen Ideen zu einer eigenen Reformationstheologie ausbaute: Hus äußerte Anfang des 15. Jahrhunderts als angesehener Theologe und Rektor der berühmten Prager Karls-Universität ziemlich exakt die gleichen Ansichten, die Luther 100 Jahre später berühmt machen sollten: Er sah allein in Jesus Christus das Oberhaupt der christlichen Kirche und lehnte das Papsttum ab, predigte in Landessprache und sah in der Bibel die einzig gültige Autorität.

Ablasshandel war in seinen Augen von Übel, da Gnade nicht käuflich von der Kirche zu haben sei, sondern nur direkt von Gott. Seine Reformation fiel vor allem in Böhmen schnell auf fruchtbaren Boden - allerdings hatte Hus das Pech, sie zu einer Zeit zu propagieren, in der die europäischen Adelsgeschlechter um die Vorherrschaft in der Kirche rangen, um so ihre weltliche Macht zu sichern.

Dass man dabei gar Gegenpäpste installierte und so die theologische Auffassung von Hus aus heutiger Sicht geradezu bestätigte, half dem Tschechen wenig: Er geriet zwischen die Fronten, wo er als störender Gotteslästerer bald allen Seiten ein Dorn im Auge war. Hus wurde am 6. Juli 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt - demonstrativ von einem weltlichen Strafgericht, an das er von geistlicher Seite aus überstellt worden war. Doch seine da bereits zahlreichen Anhänger ließen die Sache nicht auf sich beruhen und zettelten mit dem berühmten ersten Prager Fenstersturz am 30. Juli 1419 die sogenannten Hussitenkriege an, die 17 Jahre lang von Böhmen aus Teile Europas in Mitleidenschaft ziehen sollten.

Für Martin Luther, dessen Reformationslehre der von Jan Hus sehr stark ähnelte, war das durchaus ein Problem: Vielen Machthabern seiner Zeit galten, Theologie hin, Argumente her, die Hussiten vor allem als gefährliche Terroristen. Und so tappte der Reformator aus Wittenberg 1519, zwei Jahre nach Veröffentlichung seiner 95 Thesen, in eine Falle.

Die katholische Kirche, obgleich höchst alarmiert von Luthers Ansichten, ging, nicht zuletzt aufgrund der völlig anderen politischen Lage, mit dem Reformator ganz anders um als mit Hus und versuchte vorerst, ihn vor allem intellektuell und wissenschaftlich zu widerlegen. Das lag auch daran, dass die damals in Rom gängigen Methoden der Scholastik für damalige Verhältnisse durchaus pragmatisch waren und der Vernunft viel Raum boten, indem sie geistige und weltliche Fragen getrennt betrachteten.

Johannes-Eck Johannes Eck, eigentlich Johannes Mayer, auch Johann Maier, nach seinem Geburtsort Eck (Egg) genannt (* 13. November 1486 in Egg an der Günz; † 10. Februar 1543 in Ingolstadt), war ein katholischer Theologe und Gegner Martin Luthers.

Man schickte keine Bewaffneten, sondern einen Gelehrten: Johannes Eck, weltgewandter und hoch angesehener Theologieprofessor aus Bayern, stellte sich den Argumenten Luthers beim "Leipziger Disput". Ein clever eingefädelter Schachzug, denn der Mönch war zu dieser Zeit erstens noch nicht so wortgewandt, und zweitens fand die Debatte im Herrschaftsbereich Herzog Georgs von Sachsen statt, eines strammen Katholiken. Es ging um die Frage, ob das Papsttum gottgewollt und damit aus der Bibel herzuleiten sei oder nicht. Argumentativ hielt sich die mehrtägige Debatte die Waage - bis Eck zu einem rhetorischen Trick griff und Luther die Aussage abrang, die Ansichten von Jan Hus seien, zumindest teilweise, "wahrhaft evangelisch" gewesen.

In besagtem Umfeld muss das auf die Debatte gewirkt haben, als würde man heute in einer CSU-Runde mal eben postulieren, die Rote Armee Fraktion (RAF) habe mit ihrer Kritik an der Gesellschaft inhaltlich teilweise Recht gehabt: Der sachliche Austausch der Gedanken war beendet, Sachsen-Herzog Georg sprang auf, verfluchte Luther für diese Meinung öffentlich - tiefer hätte der Graben zwischen Anhängern und Gegnern des Reformators kaum aufreißen können. Noch etliche Jahre danach stand auf den Besitz von Luthers Schriften in Leipzig die Todesstrafe.

Dass der Reformator seine Ideen in Deutschland dennoch relativ unbeschadet verbreiten lassen konnte, hatte genauso politische Ursachen: Wie zu Wyclifs Zeiten kamen sie vielen Mächtigen einfach sehr gelegen - und Luther selbst passte seine im Kern radikale Theologie pragmatisch so an, dass sie einer weltlichen Macht, die ihr folgte, nicht im Weg stand. Anhänger der Reformation, die etwa wie in England katholische Altäre und Klöster stürmen wollten, rief er zur Besinnung.

Und während Reformatoren wie Thomas Müntzer (1489-1525) die theologische Freiheitsidee durchaus so deuteten, dass es im Sinn Gottes nicht nur keine kirchliche, sondern auch keine weltliche Unterdrückung geben dürfe, ließ Luther mit seiner Freiheits-Definition, nach der der Mensch vor allem seinen sowieso unfreien Willen mitsamt seinem Selbstbewusstsein aufzugeben habe, Raum für die adligen Hierarchien seiner Zeit.

Reformer wie etwa der Schweizer Huldrych Zwingli (1484-1531), die den Gedanken einer freien Religion weitertrieben, sah der Wittenberger entweder als "Schwärmer" oder gar gefährliche Aufwiegler: Das half, seine Version durchzusetzen.


Der Artikel in der Freien Presse vom 29.07.2017


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