Jahreskalender
Samstag
20. April
2024

Unser Millenium ist eigentlich nur eine Laune

von Andreas Pecht


Schon im frühen Ägypten galt die im Prinzip heute übliche Zeitrechnung nach Sonnenjahren. Als 525 ein Pabst die Jahreszählung nach Christi Geburt einführte, war der ägyptische Kalender bereits über zweieinhalbtausend Jahre alt.


Julius Caesar übertrug den ägyptischen Kalender aufs Römische Reich.

Vom Reiz der runden Zahl 2000 oder: Warum die Welt ebenso gut die Jahre 1421, 2753, 4040 oder 5760 feiern könnte

Mögen auch jene Recht haben, die den Beginn des neuen Jahrtausends auf den 1. Januar 2001 datieren, so ist alle Welt dennoch vom Millenniums-Sog erfasst: Groß gefeiert wird in der Nacht von 1999 auf 2000! Basta! Die Symbolik der runden Zahl fegt alle Bedenken beiseite. Und kaum einer schließt sich aus, mag seine eigene Kultur oder Religion auch noch so wenig mit der christlichen Zeitrechnung zu tun haben, Sie ist die allgemeine Leit-Zeit, spätestens seit der Entwicklung des Handels zum Welthandel, endgültig seit der globalen Computer-Vernetzung.

Noch beim vorangegangenen Jahrhundertwechsel war die Begeisterung für die runde Zahl eine hauptsächlich deutsche Erscheinung. Das Kaiserreich läutete am 1. Januar 1900 das 20. Jahrhundert ein, während etwa die gesamte englischsprachige Welt, Greenwich-korrekt, erst 12 Monate später die Korken knallen ließ. Jahrhundertwechsel scheinen in der Neuzeit weniger eine Frage des Kalenders, denn eine des Zeitgeistes zu sein.

Ansonsten kümmert sich die Geschichte ohnehin nicht um

der Menschen Jahreszahlenspiele. Es mag den Untergangs- oder Aufbruchspropheten missfallen, aber es gibt keinen Zusammenhang zwischen runden Kalenderdaten und welthistorischen Umbrüchen. 1765 (Erfindung der Dampfmaschine), 1789 (Französische Revolution), 1848 (demokratische Revolution), 1917/19 (Ende des Feudalzeitalters), 1939, 1945, 1989 - unrunde Jahre allesamt, in denen historische Prozesse sich zu datierbaren Ereignissen von Weltbedeutung bündelten.

Schon der Ursprung unserer Zeitrechnung ist ein vages, wackeliges Ding. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts nach Christus erhielt Exiguus den päpstlichen Auftrag, das Geburtsjahr Jesu zu ermitteln. Entsprechend der ihm zur Verfügung stehenden Quellen, ging er von Christi Geburt im 28. Regierungsjahr des Kaisers Augustus aus.

Nur vergaß der Mönch - so sehen es Historiker heute - dann bei seiner Rechnung, dass Augustus vier Jahre lang unter den Namen Octavianus geherrscht hatte. Ergo hätten wir das christliche Millennium eigentlich bereits 1996 feiern müssen.


Am Anfang war Rom

Bedenkt man obendrein die sachlich-historische Fragwürdigkeit von Exiguus‘ Quellen, so war die zuvor übliche Zeitrechnung womöglich verlässlicher. Bis dahin nämlich hatten sich selbst christliche Chronisten auf das Gründungsjahr der antiken Stadt Rom (angenommen 753 vor Christus) bezogen.
Keine schlechte Wahl, zumal das von Julius Cäsar im Jahre 46 vor Christus eingeführte - und natürlich auf die Gründung Roms zurückrechnende - Kalenderverfahren bis heute fast unverändert gilt.

Papst Gregor XII. veranlasste Ende des 16. Jahrhunderts nur noch einige Feinkorrekturen.
Cäsars Kalender, genannt der Julianische, orientiert sich am 365 -tägigen Sonnenjahr, mit einem Schaltjahr alle vier Jahre. Die Idee stammt übrigens nicht von ihm selbst, er entdeckte dieses Verfahren bei seinem Einmarsch in Ägypten, wo seit über zwei Jahrtausenden derart die Zeit eingeteilt wurde. Demnach könnte man heuer wohl begründet auch das Jahr 2753 römischer oder etwa das

Jahr 4040 altägyptischer Zeitrechnung feiern.
Doch unter Papst Johannes I. wurde 525 einfach festgelegt, dass die Zeit nunmehr vom (vermeintlichen) Geburtsjahr Christi an zu berechnen sei. So geschah es.

Aus Weitsicht könnten freilich rund zwei Drittel der Menschheit mit gleichem Recht eine ihrer religiösen und kulturellen Prägung gemäße allgemeine Zeitrechnung verlangen. Warum nicht nach jüdischer Zeit rechnen? Dieser Kalender bezieht sich auf die biblisch datierte Erschaffung der Welt 3760 Jahre vor Beginn der christlichen Zeit, er zeigt heute das Jahr 5760.

Warum nicht denn islamischen Kalender übernehmen, dessen Jahreszählung mit der Hedschra des Propheten Mohammed (622 christlicher Zeit) beginnt und heute das Jahr 1421 schreibt? Warum nicht mit der Geburt von Buddha Shakyamuni (5. Jahrhundert v. Chr.) beginnen oder mit der Geburt des Konfuzius 551 vor Christus - den prägenden Geisteskräften des volkreichsten Kontinents auf Erden?


Sonnen- und Mondjahr

Mancher Kalender - etwa der jüdische und der muslimische - richtet sich nach dem Mondjahr. Der Nachteil ist, dass das Mondjahr alljährlich um zehn Tage hinter dem jahreszeitlichen Sonnenjahr zurückbleibt. Fiele heute beispielsweise der Mond-Neujahrstag auf die dunkelste Jahreszeit, so läge er neun Jahre später schon mitten im Frühling, nach 18 Jahren im Hochsommer. . .

Deshalb benutzen heute auch muslimische oder jüdische Staaten zwei Kalender: Im religiösen Bereich gilt der ihre, im weltlichen Bereich der allgemeine (christliche).

Ein Grund, warum die christliche Zeitrechnung heute globaler Leit-Kalender ist, liegt in Jahrhunderten weltweiter Missionierung und Kolonialisierung durch

das christliche Abendland. Und die hatten bekanntlich Licht- und Schattenseiten.

Ein anderer Grund: Der julianische Kalender ist einfach der praktischere - vor allem jetzt, da die Welt ein Dorf geworden ist. Irgendwann im Laufe der Geschichte hätte er sich deshalb als weltweit-weltliche Zeitrechnungsart zwangsläufig durchgesetzt.

Dass unser Kalender aber von der Geburt Christi an zählt, statt von der Gründung Roms oder dem Beginn der ägyptischen Zeit, das ist nur eine Laune der Geschichte, unerheblich für ihren Verlauf. Nichts anderes ist folglich auch die wunderhübsche Jahreszahl 2000; bloßer Zufall - und wahrscheinlich auch noch falsch berechnet.


Noch ein Fehler

Wie berechnet man die Jahreszahl? Dazu, und um es besser darzustellen, betrachtet wir die Altersberechnung beim Menschen.
Bei der Geburt ist das Alter 0 Jahre und nicht 1 Jahr. Nach 12 Monaten, also Vollendung des ersten Lebensjahres, begeht der Mensch den ersten Geburtstag. Jetzt heißt es: Er ist 1 Jahr alt. Fortführend bedeutet das z.B.: Zum 30. Geburtstag hat man das

30. Lebensjahr vollendet und startet in das 31. Lebensjahr.

Analog ist es bei der Jahresberechnung. Das Jahr 2000 begann in Wirklichkeit mit dem Jahr 1999. Als die Menschheit das Millenium beging, war das Jahr 2000 schon vorbei. Aber das neue Jahrtausend am Neujahrstag von 1998 auf 1999 zu begrüßen, lässt natürlich nicht die richtige Stimmung aufkommen.


Abendländische Hoffnung auf einen Neuanfang

Schon wehen weiße Fähnchen über unseren Schreibtischen, erste Kollegen öffnen den Bleistiftspitzer und streuen sich Aschenersatz übers Haupt, da tatzt Wolf Dieter Kirmaier aus Aichwald mit dem Lineal nach uns Wankelmütigen. "Das Rechnen mit 0 und 1 ist zuweilen etwas schwierig", gibt er zu, empfiehlt aber zur Erkenntnis, dass die Wende 1999/2000 die wahre sei: "Ungläubige können einen handelsüblichen Meterstab, 2 m = 2000 mm, zu Hilfe nehmen. 1 Jahr entspricht dann 1 mm. Bei 2 m (2000 mm) ist Schluss. Bereits der 1. weitere tausendstel mm gehört zum 3. Meter."

Nun schwirrt und wirbelt wieder alles, die ersten Überläufer machen sich bereit, zum frühen Datum zurückzuwechseln. Da weist der Praktikant - der als Kind mehrfach den Kleinzirkus mit dem zählenden Pferd besuchen durfte und darum als Mathematikinstanz der Redaktion gilt - dem letzten Beweisführer Mogelei nach. 1 Zentimeter hieße dann ein Zentimeter, wenn er seine zehn Millimeter voll habe. Ein Jahr aber dürfe schon zu Beginn seinen Namen führen und die nötigen 364 Tage erst nach und nach ansammeln. Das Jahrtausendsilvester tritt nun klar als Wende2000/ 2001 hervor.

Nun ist die Verwirrung heillos, wie es überhaupt, noch zu Fehlfeiern kommen könne. Da bringt eine E-Mail von Hermann Lohmiller Klarheit: "Der Zeitraum der ersten zwölf Monate nach der Geburt Jesu", legt dieser Anhänger von

1999/2000 fest, "muss als das Jahr 0 unserer Zeitrechnung bezeichnet werden."

Damit ist offenbar, wie es zur Spaltung der Leserschaft und zum kalendermäßigen Schiffbruch der Redaktion kam: alles ist eine Glaubensfrage.

Wer überzeugt ist, dass unsere Ahnen nach Christi Geburt im Jahr null lebten, nach zwölf Monaten zu Silvester in die Hände spuckten und sagten: "Dann wollen wir mal mit dem Jahr eins anfangen", der muss natürlich von 1999 auf 2000 feiern. Wem vorschwebt, dass die Altvorderen dagegen zwölf Monate nach Christi Geburt seufzten: "Ein Jahr rum seit dem Nullpunkt, machen wir uns ans zweite", der muss noch warten mit der Megaparty.

Ein Großteil der Menschheit lebt sowieso unbekümmert nach anderen Kalendern - die Chinesen und Muslime etwa. Das ganze Millenniumsfiebern ist ein abendländisches Phänomen von bloßer Symbolkraft: eine Kulturgemeinschaft will sich da zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gefühl eines Neuanfangs, einer neuen Chance schenken.

Wer Laune hat, darf also schon kommendes Silvester auf den Putz zu hauen. Und wer sich lieber ein weiteres Jahr lang freut, dass die anderen ihr Fest schon verjuxt haben, ist dazu herzlich eingeladen.

Welcher Seite wir auch zuneigen, wir sollten der anderen nicht allzu gram sein: noch mal müssen wir diesen Streit nicht mitmachen.

Thomas Klingenmaier


Willkommen im neuen Jahrtausend


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 01.02.2023 - 10:24