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Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg Als die Deutschen plötzlich Unschuldslämmer waren

Von Katja Iken

14.05.2025, 06.54 Uhr o aus SPIEGEL Geschichte 2/2025

Nach 1945 versuchten die Alliierten, die Deutschen zu "entnazifizieren". Etliche verloren ihre Jobs, angeklagt wurden nur wenige. Eine Historikerin hat untersucht, was das Vorgehen in der Nachkriegsgesellschaft bewirkte.

Passanten in der Hamburger Altstadt, Ausschnitt aus Entnazifizierungsunterlagen: "Kein Angestellter ein Mitglied der Nazi-Partei"
Foto: [M] DER SPIEGEL; ullstein bild, akg-images

Am Nachmittag des 2. Oktober 1951 fackelte Stadtoldendorf seine braune Vergangenheit ab. "In Anwesenheit aller Ratsmitglieder" übergab Wilhelm Noske, SPD-Bürgermeister der bei Hannover gelegenen Kleinstadt, "eine dickleibige Akte mit den Fällen von etwa 400 Entnazifizierten den Flammen", wie die "Süddeutsche Zeitung" tags darauf berichtete.

Bundesweit griffen die Medien den vermeintlichen Skandal auf: "Vor dem geöffneten Ofen verwies der Bürgermeister in einer Ansprache darauf, dass Stadtoldendorf als erste Stadt der Bundesrepublik einen Schlussstrich unter die gesamte Entnazifizierung ziehe", so das "Hamburger Abendblatt". Die Aktenverbrennung solle laut Stadtoberhaupt Noske helfen, "den Blick nach vorn" zu richten, "die Vergangenheit zu vergessen" und die Stadt "wieder neu aufzubauen".

In kaum einer historischen Darstellung zur Entnazifizierung fehlt der Verweis auf die feierliche Aktenverbrennung in Stadtoldendorf. Schließlich bringt die Weg-damit-Aktion von 1951 die gängige Lesart von der unzulänglichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit symbolträchtig auf den Punkt. "Stadtoldendorf war überall", schrieb der Historiker Axel Schildt.

"Lug und Trug"

Verschweigen, verdrängen, verleugnen, Schlussstrich darunter und Blick nach vorn: Als "gescheitertes Experiment" bezeichnete Historiker Clemens Vollnhals 1991 die Entnazifizierung; vom "Entnazifizierungssumpf aus Lug und Trug" schrieb Autor Niklas Frank in seinem Werk "Dunkle Seelen, feiges Maul" von 2016.

Der Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur der Nazis im besetzten Polen, lässt sich zu der These hinreißen: "Von der missglückten Entnazifizierung führt ein direkter Weg zu jener klammheimlichen Freude, mit der heute die schweigende Masse der Deutschen jeden Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft begleitet."

Allein: Stimmt das Urteil? War die Entnazifizierung - also die politische Säuberung Deutschlands von NS-belastetem Personal mithilfe von Fragebögen - tatsächlich auf ganzer Linie gescheitert, blieb von ihr nichts übrig, außer dem symbolischen Häuflein Asche im Gaswerk von Stadtoldendorf?

Die Historikerin Hanne Leßau hat untersucht, wie das Entnazifizierungsverfahren in der britischen Zone wirkte, und kommt zu einem etwas differenzierteren Ergebnis. Zunächst weist sie nach, dass der Bürgermeister von Stadtoldendorf nicht etwa Entnazifizierungsakten, sondern lediglich ein Verzeichnis früherer NSDAP-Mitglieder dem Feuer übergeben hatte. Was übrigens auch die Medien später (so knapp wie kleinlaut) richtigstellten.

131 Fragen auf zwölf Seiten

Vor allem aber stellt Leßau heraus: Auch wenn die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus von den Alliierten mittels der Entnazifizierungsfragebögen erzwungen wurde, prägte sie das Denken, Fühlen und Sprechen der Nachkriegsdeutschen nachhaltig. Und zwar völlig unabhängig davon, ob die Menschen mit ihren einzelnen "Entnazifizierungsgeschichten" (so der Titel von Leßaus 2020 erschienener Studie) nun "balkenbiegend logen" (Niklas Frank) oder aber die Wahrheit sagten.

"Die Überprüften setzten sich zwar unkritisch, aber doch weit intensiver und ernsthafter mit ihrer Rolle in der NS-Diktatur auseinander als bislang angenommen", sagt Leßau, Kuratorin am NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Für ihre Untersuchung analysierte Leßau eine Stichprobe von 800 Fällen aus der noch vergleichsweise wenig erforschten britischen Besatzungszone.

Schnelles Wissen: Welche Nazis machten nach dem Krieg Karriere?

In West- wie Ostdeutschland konnten Nationalsozialisten nach 1945 an ihre berufliche Laufbahn anknüpfen. Unter ihnen etwa NS-Jurist Hans Globke, einst Kommentator der Nürnberger Rassengesetze: Er war ab 1953 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und rechte Hand Konrad Adenauers. Oder SS-Obergruppenführer Werner Best, führender Gestapo-Ideologe und "Konzepteur der Vernichtungspolitik" (so der Historiker Ulrich Herbert): Nach dem Krieg war er als Anwalt Strippenzieher einer Amnestiekampagne zugunsten einstiger NS-Kriegsverbrecher. Nazi-Marinerichter Hans Filbinger wiederum war von 1966 bis 1978 Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

In der angeblich antifaschistischen DDR schaffte es Ernst Großmann, einst SS-Unterscharführer in der Wachmannschaft des KZ Sachsenhausen, bis ins Zentralkomitee der SED. Jussuf Ibrahim, als Chef der Jenaer Universitäts-Kinderklinik verantwortlich für Euthanasiemorde an behinderten Kindern, wurde 1947 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Und Schriftsteller Horst Dreßler-Andreß, im Krieg unter anderem Ministerialrat im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, baute ab 1948 die National-Demokratische Partei Deutschlands auf, zudem reüssierte er als Regisseur.

Während die NS-Vergangenheit zahlreicher Westdeutscher spätestens seit den Sechzigerjahren öffentlich diskutiert wurde, mangelte es jenseits des "antifaschistischen Schutzwalls" lange an kritischer Aufarbeitung.

Anhand von Entnazifizierungsakten, Briefen, Tagebucheinträgen, Leumundszeugnissen zeichnete sie nach, wie die Nachkriegsdeutschen versuchten, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren: eine Aufgabe, die enorm viele Menschen im Land zu bewältigen hatten.

Insgesamt forderten die Alliierten rund 16 Millionen Westdeutsche (damals fast jeden Dritten) dazu auf, den sogenannten Entnazifizierungsfragebogen auszufüllen. Entwickelt im Rahmen der Entfaschisierung in Italien ab Sommer 1943, sollte dieser stark formalisierte Katalog von 131 Fragen den Besatzern helfen, die (belastete) Spreu vom (unbelasteten) Weizen zu trennen.

Abgefragt wurden auf zwölf Seiten neben persönlichen Angaben (darunter Größe, Gewicht und Augenfarbe, Narben und Fremdsprachenkenntnisse) vor allem Mitgliedschaften in 56 politischen, wirtschaftlichen, kirchlichen, kulturellen Organisationen: von NSDAP, SS und NS-Altherrenbund über die deutsche Jägerschaft bis hin zur deutschen Christenbewegung und dem Reichskolonialbund.

Szene aus Düsseldorf um 1950, Ausriss aus Entnazifizierungsunterlagen: "Mir gegenüber stets höflich und sehr korrekt verhalten"
Foto: [M] DER SPIEGEL, Fotos: Wolff und Tritschler / bpk, Sammlung Rauch / INTERFOTO

Ziel der Massenüberprüfung war eine möglichst zuverlässige Personalsäuberung: Menschen, die durch die Vergangenheit zu belastet schienen, sollten aus wichtigen Positionen - im öffentlichen Dienst ebenso wie in Handel, Handwerk und Industrie - entfernt werden oder solche Stellungen gar nicht erst erhalten.

"Den Alliierten ging es bei der Entnazifizierung nicht etwa um Bestrafung, Umerziehung oder Ermittlung von Schuld", betont Leßau. "Vielmehr handelte es sich um eine klar sicherheitspolitisch motivierte Maßnahme beim Aufbau des demokratischen Nachkriegsdeutschlands." Angesiedelt war die Säuberung in der Abteilung für "Public Safety" (öffentliche Sicherheit): dort, wo auch die Zuständigkeiten für Feuerwehr und Polizei lagen.

Die Entnazifizierung entfaltete zunächst eine enorme Wucht. Allein in den ersten fünf Monaten nach Kriegsende ordnete die amerikanische Militärregierung in gut 160.000 Fällen eine sofortige Entlassung (vor allem aus dem öffentlichen Dienst) an; in der britischen Zone verloren rund 70.000 Menschen ihren Job. Und in der sowjetischen Besatzungszone wurden bis Ende 1946 mehr als 390.000 einstige NSDAP-Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst entlassen oder nicht wieder eingestellt.

Die rasche Suspendierung Hunderttausender führte zu gravierenden Engpässen: Die Produktion ganzer Berufszweige und Betriebe war gefährdet, die öffentliche Verwaltung stand vor dem Kollaps. Daraufhin lenkten die Alliierten ein und änderten das Verfahren: Mit dem "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus", erlassen im März 1946 in der amerikanischen und im Jahr darauf auch in der britischen und französischen Besatzungszone, wurde die Entnazifizierung in die Hände der einstigen Täter gelegt.

Fünf Kategorien von Deutschen

Deutsche Spruchkammern (in der britischen Zone: Ausschüsse), besetzt zu einem großen Teil von Laien, sollten in gerichtsähnlichen Verfahren klären, wie verstrickt die Einzelnen in den Nationalsozialismus gewesen waren.

Neu hierbei: NSDAP-Mitglieder wurden nicht mehr automatisch entlassen. Und: In welcher der fünf Gruppen die Menschen landeten - Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete -, hing ab sofort auch von ihrem persönlichen Einsatz ab.

Den Überprüften oblag es, belastende Argumente zu widerlegen. Weshalb mindestens ein Drittel der Menschen in der britischen Zone ihrem Entnazifizierungsbogen teils ausführliche Begleitschreiben beilegten (die anderen Besatzungszonen wurden mit diesem Fokus bisher nicht im Detail untersucht).

Tagelange Suche nach einem Fürsprecher

"Die Menschen verwandten enorm viel Energie darauf, sich zu erklären, ihren inneren Abstand zum NS anhand von Beispielen zu erläutern, Fürsprecher im Bekanntenkreis aufzutreiben", betont die Historikerin Leßau.

Sie verweist auf Menschen wie den Berliner Künstler Heinz Schütt: Am Abend habe er "stundenlang an dem Fragebogen gesessen und ihn nach gutem Wissen und Gewissen ausgefüllt", schrieb Schütt am 12. Juli 1946 in sein Tagebuch.

Mehrere Tage lang fahndete der Mann, seit 1932 NSDAP-Mitglied, seit 1933 Blockwart sowie Angestellter bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, im zerstörten Nachkriegsberlin nach jemandem, der ihm ein Leumundszeugnis ausstellen könnte.

"Die Deutschen beschäftigten sich monate-, mitunter auch jahrelang mit ihrer Rolle im NS, dieser Prozess machte auch langfristig etwas mit ihnen."
Historikerin Leßau

Immer wieder suchte Schütt die Charlottenburger Entnazifizierungsstelle auf, um die schleppende Bearbeitung seines Antrags voranzutreiben. Nach Monaten erfolgloser Bemühungen erwog er verzweifelt, den für ihn Zuständigen zu bestechen, entschied sich aber dagegen: "Ich bin nicht ausgekocht genug", schrieb Schütt seiner Frau am 12. Februar 1948.

Leßau las sich durch die Fälle Hunderter ähnlicher, meist "kleiner Fische" und kam zu dem Schluss: "Die Deutschen beschäftigten sich monate-, mitunter auch jahrelang mit ihrer Rolle im NS, dieser Prozess machte auch langfristig etwas mit ihnen." Auf acht maschinenschriftlichen Seiten erklärte sich etwa Friedrich Lodemann, unter den Nazis Ingenieur bei der AEG in Essen und Betriebsobmann der NS-Organisation Deutsche Arbeitsfront. Trotz Fürsprecher und Berufungsverfahren verlor Lodemann nach dem Krieg seinen Posten.

Mit seiner Rolle im NS beschäftigte er sich bis ins hohe Alter. Als 70-Jähriger verfasste Lodemann 1965 die lange Erinnerungsschrift "Der große Irrtum", in der er seinen Söhnen die Frage beantworten wollte: "Wie konnte ich nur?" Der NSDAP sei er aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus beigetreten, schrieb Lodemann. Weil er geglaubt habe, dass die Nationalsozialisten "den Schrecken dieser Zeit, die fürchterliche Arbeitslosigkeit" beseitigen würden. Den Holocaust beschrieb Lodemann als "Verbrechen, das uns Deutschen anhaften wird, so lange die Menschheit in der Lage ist, Geschichte wahrzunehmen".

Zwar stieß Leßau regelmäßig auf die immer gleichen zweifelhaften Entlastungserzählungen, von "ich wurde verführt" über "ich wusste nichts von den Verbrechen" und "ich hätte sonst meine Arbeit verloren" bis hin zu "ich war wirtschaftlich gezwungen". Offensichtliche Falschangaben habe aber kaum jemand gemacht - zu groß die Angst vor einer Bestrafung, die auf dem Fragebogen zweimal in Fettbuchstaben angedroht wurde.

Auch für die systematische Fälschung von Leumundszeugnissen, schon von Zeitgenossen verlacht als leichtfertig ausgestellte, problemlos gegen Geld oder Naturalien erhältliche "Persilscheine", fand Leßau keine Belege. Vielmehr stellte sie erstaunt fest, "wie aufrichtig die Überprüften nach einer geeigneten Person suchten, wie unangenehm ihnen das war, wie oft solche Anfragen im ersten Anlauf scheiterten".

Leßaus Fazit: Zwar arbeiteten die Nachkriegsdeutschen den Nationalsozialismus und seine Verbrechen keinesfalls kritisch auf. Dennoch trug die millionenfach erzwungene Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit dazu bei, dass die Menschen sich vom Nationalsozialismus distanzierten, ihre Biografie mit der neuen Zeit versöhnten, einen Anschluss an die Demokratie fanden.

Stadtbummel auf dem Kurfürstendamm in Berlin nach dem Krieg, Ausriss aus Entnazifizierungsunterlagen: "Seine nazistische Einstellung war niemals extrem"
Foto: [M] DER SPIEGEL Fotos: Ernst Hahn / Weissberg / ullstein bild, Sammlung Rauch / INTERFOTO

"Aus einem Nazi wird nicht über Nacht ein Demokrat", betont die Historikerin. Um diesen Prozess des Übergangs zu verstehen, helfe es nicht, die heutigen Maßstäbe anzulegen. Vielmehr sei es nötig, die millionenfachen deutschen "Entnazifizierungsgeschichten" in ihrer langfristigen Wirkung noch breiter zu erforschen.

Dennoch räumt auch Leßau ein: Betrachtet man allein die nackten Zahlen, war die Bilanz der Entnazifizierung verheerend, nur gegen sehr wenige ehemalige Nazis wurde juristisch ermittelt. Vom messbaren Endergebnis her lässt sich das Verfahren zurecht als "Mitläuferfabrik" (Lutz Niethammer) verurteilen.

So stuften die Spruchkammern in der US-Zone bis Ende 1949 von den 13,4 Millionen zu Überprüfenden nur 1654 Deutsche als Hauptschuldige (Kategorie I), 22.122 als NS-Aktivisten (II) und 106.000 als Minderbelastete ein. In der britischen und französischen Zone fielen die Urteile sogar noch milder aus.

"Ernsthafter politischer Unruheherd"

Wie durch Zauberhand trugen die einstigen Braunhemden plötzlich allesamt blütenweiße Westen: Das Personal Hitlers hatte sich mit einem Schlag "mehr oder weniger in Nichts aufgelöst", so Historiker Clemens Vollnhals. Den Alliierten sollte es recht sein - in dem heraufziehenden Kalten Krieg brauchten beide Seiten auf ihrem Terrain möglichst stabile Verhältnisse.

"Hätten die nominellen Parteimitglieder nicht ihre vollen bürgerlichen Rechte und die Möglichkeit zurückerhalten, wieder ein normales Leben zu führen", schrieb US-Militärgouverneur Lucius D. Clay rückblickend, "dann hätte sich bestimmt früher oder später ein ernsthafter politischer Unruheherd entwickelt."

Zumal die Entnazifizierung bei der Bevölkerung höchst unbeliebt war: Einer Umfrage des Instituts für Demoskopie von 1953 zufolge war knapp die Hälfte der befragten Deutschen (40 Prozent) der Meinung, dass die Entnazifizierung "nicht notwendig" gewesen sei. 26 Prozent fanden, sie habe "mehr Schaden als Nutzen gestiftet". Knapp ein Viertel der Menschen war der Ansicht, die Überprüfungen seien zwar "notwendig" gewesen, aber "falsch durchgeführt" worden, 14 Prozent hielten sie für "eine Schikane der Besatzungsmächte".

"Ich bin fragebogenkrank, ich bin fragebogenkrank, kennen Sie das fürchterliche Leiden?", trällerte Entertainer Justus Scheu Ende der Vierzigerjahre. Und der einstige Freikorpskämpfer und Rechtsterrorist Ernst von Salomon landete mit seinem autobiografischen Roman "Der Fragebogen", einem Generalangriff auf die Entnazifizierungspolitik der Alliierten, 1951 einen spektakulären Bestseller. Schon am Erscheinungstag war die Startauflage ausverkauft; mehrfach musste in den nächsten Monaten nachgedruckt werden.

"Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei einmal Schluss machen!"
Kanzler Adenauer

Nachdem die sowjetische Militärregierung im Februar 1948 als erste das offizielle Ende der Verfahren verkündet hatte, gerieten die Besatzungsmächte der Westzonen unter Zugzwang und drängten ihrerseits auf einen Schlussstrich. "Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden", sagte der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949.

Man habe "so verwirrte Zeitverhältnisse" hinter sich gebracht, "dass es sich empfiehlt, generell tabula rasa zu machen", brachte der CDU-Politiker in der ersten Kabinettssitzung die weitverbreitete Sehnsucht nach Vergessen zum Ausdruck. An anderer Stelle wurde Adenauer noch deutlicher: "Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei einmal Schluss machen!"

"Flurbereinigung für die Zukunft"

Rechtzeitig zu Weihnachten war es so weit: Die gerade ins Amt gekommene erste Bundesregierung beschenkte die Deutschen Ende 1949 mit einem Straffreiheitsgesetz - rund 800.000 verurteilte Verbrecher, darunter etliche NS-Täter, wurden begnadigt. Ein weiteres Amnestiegesetz folgte fünf Jahre später; zudem wurden die nach Kriegsende geschassten Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst sowie die Berufssoldaten rehabilitiert. Als "Flurbereinigung für die Zukunft" pries Bundestagspräsident Hermann Ehlers 1951 dieses "131er"-Gesetz.

Eine (auf Bayern bezogene) Karikatur namens "Entnazifikator" , erschienen in der satirischen Wochenzeitschrift "Simplicissimus", nahm den Prozess der politischen Säuberung schon 1946 aufs Korn: Oben springen die schwarzen Böcke aus dem "Braunen Haus", der NSDAP-Parteizentrale in München, in die magische Maschine - unten purzeln am Band weiße Unschuldslämmer heraus, Blümchen in der Hand und Christuskreuz um den Hals.

Doch ganz so eindeutig war die Sache nicht. So skandalös diese "Liquidation der Entnazifizierung" (so der Historiker Norbert Frei) auch war und so laut die Nachkriegsdeutschen über die Fragebögen schimpften - den Zeitgenossen war es wichtig, die Akten dieser Verfahren für die Nachwelt aufzubewahren.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, übergaben die Städte und Gemeinden ihre Entnazifizierungsakten an die jeweils zuständigen Archive - allein im Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf landeten Mitte der Sechzigerjahre 56 Lkw-Ladungen für geschätzte 1,5 Millionen Dossiers. Den Menschen sei es wichtig gewesen, diese Akten - und damit auch das Wissen um die Verstrickung in den NS - für spätere Generationen aufzubewahren, sagt Leßau.

Auch die sorgfältige Archivierung zeigt der Historikerin zufolge: "Die Entnazifizierungsverfahren waren ein zentraler Ort gewesen, an dem Millionen Deutsche langfristig wirksame Deutungen der eigenen Vergangenheit entworfen hatten."

Selbst die Entnazifizierungsakten von Stadtoldendorf sind noch erhalten - statt im Feuer landeten sie im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover.


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© infos-sachsen / letzte Änderung: - 06.06.2025 - 15:22