27. September 2025, 03:30 Uhr
von Eva Gaeding, MDR Kulturdesk
Die beiden Tauben haben es offenbar eilig. Auf dem Foto, das Roger Melis 1979 vor der Neuen Wache in Berlin machte, trippeln sie geschäftig über den leergefegten Platz Richtung Bildrand. Die Menschenmenge, die sich hinter einer Absperrung um den Platz versammelt hat, die beiden Wachsoldaten vor dem Portal und das einsame Mikrophon in der Mitte - alles scheint in Erwartung dieser beiden Vögel zu verharren. Spekulationen darüber, ob es sich bei dieser Szene eigentlich um eine bevorstehende Wachablösung oder um eine Kundgebung zum Tag der Republik handelt, bleiben dem Betrachter überlassen.
Bildrechte: Roger Melis
Bildrechte: Roger Melis
Mit wunderbarer Beiläufigkeit hat Roger Melis diesen Augenblick festgehalten, der die Zeit, in der er lebte, doch so gut charakterisiert. Das Foto ist Teil seiner Retrospektive im Leonhardi-Museum in Dresden, das Aufnahmen aus den 1960er- bis Anfang der 1990er-Jahre versammelt.
"Der Fotograf muss das Leben überraschen, praktisch beim Sprung aus dem Bett", formulierte schon Henri Cartier Bresson 1952 in seinem Essay "Images à la sauvette" sein Credo für gute Straßenfotografie. Keine mit Bedeutung überladenen Szenen gelte es abzubilden, sondern verdichtete Momente voller Leichtigkeit, forderte er.
Auch die Fotos von Roger Melis zeigen stille Augenblicke, jenseits aller Sensation. Museumsdirektor Bernd Heise ist zugleich von der formalen Strenge der Bildkomposition begeistert. "Die Sachen haben immer eine Form, die sich behauptet. Und das ist ja mindestens ebenso wichtig wie der Inhalt."
Bildrechte: Roger Melis
Aus allen Themen, die Roger Melis in seiner Fotokunst bearbeitete, suchte sich Heise die seiner Ansicht nach besten und wichtigsten Fotos für die Überblicksschau heraus. Als Bildreporter für Zeitschriften und im Eigenauftrag fotografierte Roger Melis etwa das dörfliche Leben, Handwerksberufe, Kinder und Jugendliche oder Straßenszenen. In Dresden hängen jedoch auch Bilder mit einem konkreten Bezug zum Ausstellungsort.
"In diesem Raum gibt es quasi einen Essay über Meißen, wo er einfach Alltagssituationen in Kneipen und Cafés fotografiert hat," erläutert Heise im Erdgeschoss des verwinkelten Museumsbaus. Auch Dresden ist mit einigen Aufnahmen vertreten. "Bei den Künstlerporträts sind acht Künstler dabei, die wir hier selbst auch schon ausgestellt haben", freut sich Heise.
Bildrechte: Roger Melis
Das Porträtschaffen Roger Melis' bildet einen zweiten Schwerpunkt der Schau. Seine 1963 entstanden Aufnahmen sind eine Art Bestandsaufnahme der kulturellen und intellektuellen Szene Berlins. Von Helene Weigel und Anna Seghers, Peter Hacks und Heiner Müller bis Wolf Biermann, Bettina Wegner und Nina Hagen hat er sie alle abgelichtet.
"Man sieht ja auch, wenn Künstler wie Christa Wolf oder Sarah Kirsch mehrfach vorkommen, wie sich das in der Zeit wandelt", meint Heise. "Wir sehen auch die Zeit der Weggeher, der Ausreisen." Etwa auf dem Foto, das die Lyrikerin Sarah Kirsch auf einem Turm von gepackten Kisten zeigt. Oder einen nachdenklichen Manfred Krug vor seinem Oldtimer. "Außerdem ist hier die legendäre Zeit im Prenzlauer Berg zu sehen, in den 80er-Jahren, als es alles schon freier war in bestimmten Gegenden, wo einfach der Kessel schon brodelte", so Heise.
"Man sieht ja auch, wenn Künstler wie Christa Wolf oder Sarah Kirsch mehrfach vorkommen, wie sich das in der Zeit wandelt", meint Heise. "Wir sehen auch die Zeit der Weggeher, der Ausreisen." Etwa auf dem Foto, das die Lyrikerin Sarah Kirsch auf einem Turm von gepackten Kisten zeigt. Oder einen nachdenklichen Manfred Krug vor seinem Oldtimer. "Außerdem ist hier die legendäre Zeit im Prenzlauer Berg zu sehen, in den 80er-Jahren, als es alles schon freier war in bestimmten Gegenden, wo einfach der Kessel schon brodelte", so Heise.
Bildrechte: Roger Melis
Allen Aufnahmen, die in elegantem Schwarzweiß die Wände des Leonhardi-Museums füllen, eigen ist die Unmittelbarkeit, mit der das Motiv eingefangen ist. So lebendig und wahrhaftig, dass man als Betrachterin das Gefühl hat, selbst Adressat des Blickes zu sein, der doch in die Kamera gerichtet ist.
"Ich glaube, es geht um eine ganz unmittelbare Wahrnehmung eines Menschenbildes", resümiert Bernd Heise. "Also, dass man sich für eine Person interessiert. Und da ist es egal, ob das ein Bäckergeselle ist, oder ein Künstler oder ein Kohlenträger."
Heise, der seit zwanzig Jahren regelmäßig Foto-Ausstellungen zeigt, sieht darin ein
An der Grundstraße unweit des Dresdner Körnerplatzes gelegen, ist das Leonhardi-Museum schon aufgrund seiner eigenwilligen Architektur ein lohnendes Ausflugsziel. Die wunderbaren Bilder von Roger Melis sollte man auf keinen Fall verpassen.
Bildrechte: imago images / Hohlfeld
Leonhardi-Museum Dresden
Grundstraße 26
01326 Dresden
Quelle: MDR