Alltag der DDR: Dresden zeigt Bilder des Fotografen Roger Melis

27. September 2025, 03:30 Uhr

Roger Melis (1940-2009) gilt als Meister des ostdeutschen Fotorealismus. Er war einer der bekanntesten Fotografen der DDR. Das Leonhardi-Museum in Dresden zeigt ab Samstag eine Auswahl von 127 seiner Fotografien aus vier Jahrzehnten. In der Ausstellung sind Reportagefotografien, die den Alltag der DDR abbilden, zu sehen. Aber auch Melis' Porträts bekannter DDR-Künstler wie Anna Seghers, Wolf Biermann oder Manfred Krug werden gezeigt.

von Eva Gaeding, MDR Kulturdesk

Die beiden Tauben haben es offenbar eilig. Auf dem Foto, das Roger Melis 1979 vor der Neuen Wache in Berlin machte, trippeln sie geschäftig über den leergefegten Platz Richtung Bildrand. Die Menschenmenge, die sich hinter einer Absperrung um den Platz versammelt hat, die beiden Wachsoldaten vor dem Portal und das einsame Mikrophon in der Mitte - alles scheint in Erwartung dieser beiden Vögel zu verharren. Spekulationen darüber, ob es sich bei dieser Szene eigentlich um eine bevorstehende Wachablösung oder um eine Kundgebung zum Tag der Republik handelt, bleiben dem Betrachter überlassen.

Teil der Ausstellung im Leonhardi-Museum in Dresden: Ein Foto, das Roger Melis 1979 vor der Neuen Wache in Berlin aufgenommen hat.
Bildrechte: Roger Melis

Fotos zeigen stille Augenblicke, jenseits aller Sensation

Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Jungen von 1974, in der Ausstellung im Leonhardi-Museum Dresden.
Bildrechte: Roger Melis

Mit wunderbarer Beiläufigkeit hat Roger Melis diesen Augenblick festgehalten, der die Zeit, in der er lebte, doch so gut charakterisiert. Das Foto ist Teil seiner Retrospektive im Leonhardi-Museum in Dresden, das Aufnahmen aus den 1960er- bis Anfang der 1990er-Jahre versammelt.

"Der Fotograf muss das Leben überraschen, praktisch beim Sprung aus dem Bett", formulierte schon Henri Cartier Bresson 1952 in seinem Essay "Images à la sauvette" sein Credo für gute Straßenfotografie. Keine mit Bedeutung überladenen Szenen gelte es abzubilden, sondern verdichtete Momente voller Leichtigkeit, forderte er.

Die Stars waren die einfachen Leute.
Bernd Heise, Museumsdirektor

Auch die Fotos von Roger Melis zeigen stille Augenblicke, jenseits aller Sensation. Museumsdirektor Bernd Heise ist zugleich von der formalen Strenge der Bildkomposition begeistert. "Die Sachen haben immer eine Form, die sich behauptet. Und das ist ja mindestens ebenso wichtig wie der Inhalt."

Hommage an Ausstellungsort Dresden

Auch Dresden ist in der Ausstellung präsent: Hier mit einer Aufnahme der zerstörten Frauenkirche von 1966.
Bildrechte: Roger Melis

Aus allen Themen, die Roger Melis in seiner Fotokunst bearbeitete, suchte sich Heise die seiner Ansicht nach besten und wichtigsten Fotos für die Überblicksschau heraus. Als Bildreporter für Zeitschriften und im Eigenauftrag fotografierte Roger Melis etwa das dörfliche Leben, Handwerksberufe, Kinder und Jugendliche oder Straßenszenen. In Dresden hängen jedoch auch Bilder mit einem konkreten Bezug zum Ausstellungsort.

"In diesem Raum gibt es quasi einen Essay über Meißen, wo er einfach Alltagssituationen in Kneipen und Cafés fotografiert hat," erläutert Heise im Erdgeschoss des verwinkelten Museumsbaus. Auch Dresden ist mit einigen Aufnahmen vertreten. "Bei den Künstlerporträts sind acht Künstler dabei, die wir hier selbst auch schon ausgestellt haben", freut sich Heise.

Portraits von Nina Hagen bis Manfred Krug

Roger Melis porträtierte die Schriftstellerin Anna Seghers 1968 in Berlin.
Bildrechte: Roger Melis

Das Porträtschaffen Roger Melis' bildet einen zweiten Schwerpunkt der Schau. Seine 1963 entstanden Aufnahmen sind eine Art Bestandsaufnahme der kulturellen und intellektuellen Szene Berlins. Von Helene Weigel und Anna Seghers, Peter Hacks und Heiner Müller bis Wolf Biermann, Bettina Wegner und Nina Hagen hat er sie alle abgelichtet.

"Man sieht ja auch, wenn Künstler wie Christa Wolf oder Sarah Kirsch mehrfach vorkommen, wie sich das in der Zeit wandelt", meint Heise. "Wir sehen auch die Zeit der Weggeher, der Ausreisen." Etwa auf dem Foto, das die Lyrikerin Sarah Kirsch auf einem Turm von gepackten Kisten zeigt. Oder einen nachdenklichen Manfred Krug vor seinem Oldtimer. "Außerdem ist hier die legendäre Zeit im Prenzlauer Berg zu sehen, in den 80er-Jahren, als es alles schon freier war in bestimmten Gegenden, wo einfach der Kessel schon brodelte", so Heise.

"Man sieht ja auch, wenn Künstler wie Christa Wolf oder Sarah Kirsch mehrfach vorkommen, wie sich das in der Zeit wandelt", meint Heise. "Wir sehen auch die Zeit der Weggeher, der Ausreisen." Etwa auf dem Foto, das die Lyrikerin Sarah Kirsch auf einem Turm von gepackten Kisten zeigt. Oder einen nachdenklichen Manfred Krug vor seinem Oldtimer. "Außerdem ist hier die legendäre Zeit im Prenzlauer Berg zu sehen, in den 80er-Jahren, als es alles schon freier war in bestimmten Gegenden, wo einfach der Kessel schon brodelte", so Heise.

Fotos zeigen Menschen in der DDR mit realistischem Blick

Viele bekannte Künstler der DDR hat Roger Melis fotografiert. Hier: Wolf Biermann und sein Kreis, Berlin 1967
Bildrechte: Roger Melis

Allen Aufnahmen, die in elegantem Schwarzweiß die Wände des Leonhardi-Museums füllen, eigen ist die Unmittelbarkeit, mit der das Motiv eingefangen ist. So lebendig und wahrhaftig, dass man als Betrachterin das Gefühl hat, selbst Adressat des Blickes zu sein, der doch in die Kamera gerichtet ist.

Es geht um eine ganz unmittelbare Wahrnehmung eines Menschenbildes.
Bernd Heise, Museumsdirektor

"Ich glaube, es geht um eine ganz unmittelbare Wahrnehmung eines Menschenbildes", resümiert Bernd Heise. "Also, dass man sich für eine Person interessiert. Und da ist es egal, ob das ein Bäckergeselle ist, oder ein Künstler oder ein Kohlenträger."

Heise, der seit zwanzig Jahren regelmäßig Foto-Ausstellungen zeigt, sieht darin ein Phänomen des Fotorealismus der DDR. "Die Würde, mit der die Leute dargestellt worden sind. Also eben nicht zelebriert oder irgendwelche Stars, sondern die Stars waren die einfachen Leute, die in ihren öligen Klamotten in der Fabrikhalle sitzen. Das finde ich toll."

An der Grundstraße unweit des Dresdner Körnerplatzes gelegen, ist das Leonhardi-Museum schon aufgrund seiner eigenwilligen Architektur ein lohnendes Ausflugsziel. Die wunderbaren Bilder von Roger Melis sollte man auf keinen Fall verpassen.

Das Leonhardi-Museum im Dresdner Stadtteil Loschwitz ist schon allein seiner Architektur wegen sehenswert.
Bildrechte: imago images / Hohlfeld

Leonhardi-Museum Dresden
Grundstraße 26
01326 Dresden

Quelle: MDR