Wie Ämter systematisch ausgetrickst werden: "Der Sozialstaat als Selbstbedienungsladen"

Die schlimmsten Fälle von Sozialbetrug aus ganz Deutschland

Von

Michael Deutschmann

Wolfgang Ranft

Stefan Schlagenhaufer

Jan Schumann

27.09.2025 - 21:13 Uhr

Berlin - Millionen Menschen beziehen in Deutschland Sozialleistungen. Die meisten, weil sie sie benötigen und sie ihnen zustehen. Immer mehr aber, weil sie sich die Gelder "ertricksen": organisierte Banden, die Scheinfirmen anmelden, gegenüber den Behörden Kinder angeben, die es gar nicht gibt.

Wohnungsdurchsuchungen am Chemnitzer Sonnenberg - wegen Sozialbetrugs
Foto: Harry Haertel

Der Sozialstaat als Selbstbedienungsladen - BILD-Reporter haben Fälle aus ganz Deutschland zusammengetragen und die verantwortlichen Politiker konfrontiert.

In Chemnitz-Sonnenberg kassiert ein skrupelloser Vermieter mit Elend ab: Er quartiert vor allem Roma-Großfamilien in versiffte Bruchbuden ein. Die Miete holt er sich vom Amt. Während die Bewohner im Dreck "leben", macht er Kasse mit dem Sozialsystem.

SPD-Stadtrat Jürgen Renz (51) nennt es ein perfides Geschäftsmodell, das Verfall und Kriminalität im Viertel noch anheize: "Ein bewusstes Fördern von Parallelgesellschaften." Seit mehr als einem Jahr versuchen Renz und andere Stadträte, das zu stoppen - ohne Erfolg. Das Elend breitet sich sogar auf weitere Häuser aus.

"In Barber-Shops wird Geld gewaschen"

In Hildesheim (Niedersachsen) schießen die Barbershops wie Pilze aus dem Boden. SPD-Bundestagsabgeordneter und Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil (52) dazu: "Da sind kriminelle Strukturen in diesem Land. Ich erlebe das in meiner Kleinstadt, in der es inzwischen auch organisierte Kriminalität gibt, ich sage es ganz offen, man nennt es auch Clan-Kriminalität: Wo über Barber-Shops Geld gewaschen wird."

Im hessischen Baunatal berichtete Hubertus Heil (52, SPD) von Clan-Kriminalität in seiner Heimatstadt
Foto: Sven Moschitz

In Bayern haben im Sommer 200 Zöllner knapp 20 Objekte durchsucht: Sozialversicherungsbetrug in der Security-Branche. Masche: Der "Rechnungs-Trick": Kriminelle jonglieren mit Fake-Rechnungen für nie erbrachte Leistungen. Der Trick: Scheinausgaben vortäuschen, Steuern und Sozialabgaben prellen - und Schwarzlöhne elegant verschleiern.

Im bayerischen Fürstenfeldbruck wurde vor einem Jahr ein Ehepaar erwischt, das mit gefälschten Mietverträgen für 28 Ukrainerinnen Bürgergeld und Mietkosten erschwindelt hatte. Schaden: eine Viertelmillion Euro für das Jobcenter.

Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (57, CSU) zu BILD: "Organisierter Betrug und Kriminalität in unserem Sozialstaat sind ein Skandal. Die Sozialstaatsreform muss hier den Riegel vorschieben. Das Vertrauen in unseren Sozialstaat geht sonst verloren."

Thüringen: Zahlreiche Ukrainer bekommen Geld für eine Wohnung, tauchen dann unter

Thüringens CDU-Landrat Christian Herrgott (41, Saale-Orla-Kreis) beklagt Betrugs-Maschen von Ukrainern
Foto: Karina Hessland-Wissel

In Thüringen ziehen offenbar viele Ukrainer den Staat ab. Der Thüringer CDU-Landrat und Landkreistag-Chef Christian Herrgott (41, Saale-Orla-Kreis) berichtet BILD: "Ukrainer, die sich als Kriegsflüchtlinge melden, daraufhin Bürgergeld plus Kosten für Wohnung und Lebenserhalt überwiesen bekommen, ihre Wohnung aber nie bezogen haben, untergetaucht sind oder den Landkreis sofort wieder verlassen haben." Es vergehen oft Monate, bis das den Vermietern auffällt und sie es den Behörden melden.

Landrat Ulli Schäfer (42, CDU) aus dem Saale-Orla-Kreis (Thüringen) berichtet BILD: "In diesem Jahr hatten wir bereits 150 Fälle von Sozialbetrug im Bürgergeld-Bereich der Jobcenter, elf Fälle beim Wohngeld und sieben Fälle bei Sozialhilfe und Grundsicherung."

Hessens Innenminister: "Sozialbetrug macht unseren Sozialstaat kaputt. Diese Straftaten sind asozial"

In Hessen hat ein Clan Gebrauchtwagen-Verkäufer und dann den Staat betrogen: mit dem "Öl-Kühlwassertrick". Elf Mitglieder (21 bis 30 Jahre, diverse Staatsangehörigkeiten) haben bei ihnen angebotenen Gebrauchtwagen heimlich Öl ins Kühlwasser gekippt, und täuschten so einen Motorschaden vor. Kauften dann den Opfern die Wagen zu Spottpreisen ab. Schaden: mehrere Zehntausend Euro.

Hessens Innenminister Roman Poseck (55, CDU) will migrantische Sozialbetrüger abschieben
Foto: Sven Moschitz

Mit der "Monaco-Masche" handelten sie mit hochwertigen Luxuswagen, täuschten mit geklauten Firmendaten Auslandsgeschäfte vor - in Wahrheit landeten die Wagen hier. Der Trick: Umsatzsteuer hinterziehen, Schaden: 150.000 Euro für den Steuerzahler.

Die häufigste Betrugs-Masche: der "Firmen-Trick". 180.000 Euro Sozialbetrug entstanden durch falsche Angaben von angestellten Familienmitgliedern. Deshalb stürmten kürzlich 160 Polizisten acht Immobilien in Frankfurt/Main.

Hessens Innenminister Roman Poseck (55, CDU): "Sozialbetrug macht unseren Sozialstaat kaputt. Diese Straftaten sind asozial. Sie richten sich gegen uns alle und sind schwerwiegendes Unrecht. Erst recht, wenn sie von Clans begangen werden. Hier muss der Rechtsstaat mit ganzer Härte durchgreifen. Dazu gehören für mich lange Strafen und konsequente Abschiebungen."

Der Innenminister droht den Clans: "Wer zu uns gekommen ist und den Sozialstaat als Selbstbedienungsladen begreift, hat hier nichts zu suchen."


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