Stand: 13.06.2024 03:34 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten
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Quelle: picture alliance / dts-Agentur
Seit Tagen sorgen Berichte über wohl systematischen Betrug mit solchen Klimaschutzprojekten in China für Schlagzeilen. Deutsche Mineralölkonzerne konnten sich Projekte, mit denen CO2-Emissionen innerhalb der Lieferkette im Ausland eingespart werden - sogenannte "Upstream Emission Reduction" (UER) - auf ihre eigene Treibhausgasquote anrechnen lassen.
Das Umweltbundesamt (UBA), das dem Umweltministerium unterstellt ist, hatte schon Ende August 2023 erste Hinweise auf den möglichen Betrug erhalten - das räumt das Ministerium in dem Bericht ein. Doch dann passierte erst einmal monatelang fast nichts. "Konkretisierungen der Vorwürfe gingen Ende Februar 2024 ein", heißt es lapidar in dem Papier. Auch auf Nachfrage habe das Ministerium in der nicht-öffentlichen Ausschusssitzung am Mittwoch nicht beantwortet, wie diese Konkretisierung aussah und warum bis Februar zunächst wenig passierte, berichten Teilnehmer.
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Hektisch wurde es erst Ende Mai, kurz bevor erste Berichte über den womöglich massenhaften Betrug öffentlich wurden. Erst ein Vierteljahr, nachdem sich die Vorwürfe laut dem Ministerium noch einmal konkretisiert hatten und ein Dreivierteljahr, nachdem es erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gegeben hatte, erstattete das UBA Strafanzeige gegen Unbekannt.
Und noch etwas passierte Ende Mai, das vorher ungewöhnlich lange gedauert hatte: Das Bundeskabinett beschloss eine Änderung der entsprechenden Verordnung, mit der die Möglichkeit, solche Klimaschutzprojekte im Ausland anrechnen zu lassen, vorzeitig beendet wurde. Den Entwurf hatte das Umweltministerium - wohl nicht zufällig - Ende Februar zur Abstimmung an die anderen Ministerien verschickt - genau zu dem Zeitpunkt also, als sich die Vorwürfe konkretisierten. Doch auch dann dauerte es noch einmal drei Monate, bis die Regierung das vorzeitige Ende der Auslandsprojekte beschloss.
Im Bericht des Umweltministeriums an den Bundestagsausschuss liest es sich nun so, als habe das Ministerium zügig die Konsequenzen gezogen, als es bemerkt haben will, dass die deutschen Behörden die angeblichen CO2-Einsparprojekte gar nicht überwachen können. "Die entsprechende Verordnung ist bereits in Kraft getreten", heißt es da.
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Im ursprünglichen Referentenentwurf für die Änderung der Verordnung aus dem Februar 2024 ist allerdings mit keiner Silbe die Rede von Kontrollproblemen oder gar möglichem Betrug. Stattdessen werden die UER-Projekte sogar als Erfolg dargestellt: "Durch die Anrechnung von UER-Maßnahmen hat Deutschland die Verpflichtungen nach Artikel 7a der Kraftstoffqualitätsrichtlinie zur CO2-Minderung bei Kraftstoffen erfüllt", heißt es in dem Entwurf. "Auch haben UER-Maßnahmen in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, CO2-Emissionen bei Kraftstoffen zu mindern, da andere Optionen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen." Nun seien die Projekte nicht mehr nötig.
Warum die Untersuchungen so langsam anliefen und warum die Änderung der Verordnung noch einmal ein Vierteljahr liegengelassen wurden, beantwortet das Umweltministerium am Mittwoch nicht. Die Frist zur Beantwortung der Fragen sei zu kurz, teilt eine Sprecherin mit - obwohl das Thema an diesem Tag in der Ausschusssitzung behandelt wurde.
Die Opposition sieht weiterhin massiven Aufklärungsbedarf und nimmt Ministerin Steffi Lemke persönlich ins Visier. "Der Bericht des Umweltministeriums zeigt, dass es sich bei den mutmaßlichen Betrugsfällen mit CO?-Zertifikaten aus dem Ausland um einen der größten Umweltskandale der vergangenen Jahre handelt", sagt die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion Anja Weisgerber WELT.
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Das Umweltbundesamt habe monatelang zu zögerlich reagiert. "Entscheidende Fragen sind weiter unbeantwortet. Die Umweltministerin muss endlich die Verantwortung übernehmen und für Aufklärung sorgen, denn sie hat die Fach- und Rechtsaufsicht über das Umweltbundesamt", sagt die CSU-Politikerin. "Ich fordere ein sofortiges Moratorium für die betroffenen Klimaschutzprojekte im Ausland - nicht nur für künftige Projekte ab 2025, sondern auch für Projekte aus der Vergangenheit."
Völlig offen ist auch die Frage, warum Umweltbundesamt und Umweltministerium so nachlässig kontrolliert haben. Eigentlich sind das grün geführte Ministerium und seine Behörde nicht dafür bekannt, bei CO2-Emissionen von Mineralölkonzernen nicht so genau hinzuschauen oder gar ein Auge zuzudrücken. In Branchenkreisen kursiert daher die Theorie, dass den Klimaschützern in der Behörde der Skandal und die Schlagzeilen sogar ganz recht sein könnten.
Denn eingeführt hatte das System Lemkes Vorgängerin Svenja Schulze (SPD), die heutige Entwicklungshilfeministerin. Indem man das ganze Verfahren nun als unkontrollierbar hinstelle, kann man es nun vollständig abschaffen, so die Theorie. Das bedeutet aber nicht, dass die CO2-Vorgaben für die Mineralölkonzerne dadurch weniger streng werden, sie müssen die Ziele stattdessen genau kontrolliert im Inland erreichen. Das könnte durchaus im Sinn des UBA und des Umweltministeriums sein.
Neben der politischen Aufarbeitung laufen jetzt auch strafrechtliche Ermittlungen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin, Sebastian Büchner, bestätigte WELT, dass Strafanzeigen wegen des Verdachts des Betruges gestellt wurden. Nun werde der Sachverhalt "unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten" geprüft.
Danach werde entschieden, "ob überhaupt der zur Aufnahme von Ermittlungen erforderliche Anfangsverdacht besteht". Büchner verwies darauf, dass dieser Vorgang angesichts der komplexen Sachlage "sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen" werde. Namentliche Beschuldigte seien derzeit nicht verzeichnet. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich noch um ein "Unbekannt-Verfahren".
Der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, sagte WELT: "Wir brauchen zur restlosen Aufklärung der fraglichen Projekte dringend die Vor-Ort-Mission nach China. Das Prüfen von Berichten und Satellitenbildern führt irgendwann nicht mehr zu weiteren Ermittlungserkenntnissen." Das habe er immer betont.