14.02.2025 - 20:01 Uhr aktualisiert
Foto: IMAGO/Andreas Stroh
München. Der US-Vizepräsident weiß schon, was ihn erwartet, als er an die Opfer der jüngsten Terrorfahrt von München erinnert und freundlichen Beifall im Saal des Bayerischen Hofs erntet. "Ich hoffe, dass das nicht der letzte Applaus für heute war", sagt J. D. Vance vor den versammelten Politikern, Militärs und Sicherheitsfachleuten bei der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC).
Doch am Ende sollte sich seine Befürchtung bewahrheiten. Vance redet wenig über die USA und ihre künftige Rolle in der Welt, so wie es im Programm angekündigt war. Er liest den Europäern die Leviten und bricht mit Tabus. Und er rät, bestehende Brandmauern zwischen politischen Kräften mit unterschiedlicher Ausrichtung niederzureißen.
Beim Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Vormittag hatte Vance Deutschland noch als "großartigen Verbündeten" der Vereinigten Staaten gelobt. Davon ist bei seiner Rede am Nachmittag dann nicht mehr viel zu spüren.
Aus Sicht der USA verabschiede sich Europa von seinen fundamentalen Werten, allen voran der Meinungsfreiheit, führt Vance aus, der schon im vergangenen Jahr an der MSC teilgenommen hatte, damals noch als Senator. Freie Meinungsäußerung werde mit dem schlimmsten Vokabular aus Sowjetzeiten belegt und als Desinformation verunglimpft. "Die Redefreiheit ist in Europa auf dem Rückzug", sagt der Vizepräsident.
Kritische Stimmen würden nicht gehört oder gar unterdrückt. Der Vizepräsident nennt dafür mehrere Beispiele, etwa die Wiederholung der Präsidentschaftswahl in Rumänien, wo das Ergebnis seiner Behauptung nach nicht ins Konzept gepasst habe, oder das Vorgehen der EU-Kommission gegen Soziale Netzwerke. Die größte Bedrohung komme nicht von außen, sondern liege im Inneren vieler europäischer Staaten, wo die Meinungsfreiheit unterdrückt werde, behauptete Vance.
Viele europäische Politiker und Experten hatten mit Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben und größerem Ukraine-Engagement gerechnet. Stattdessen wirft US-Vize Vance mehreren EU-Regierungen vor, die Demokratie in ihren Ländern zu beschneiden.
Im Saal rührte sich während der etwa 18-minütigen Rede kaum eine Hand, zum Teil blickte man im Publikum in versteinerte Gesichter. Dabei war das Publikum eigentlich auf das vorbereitet, was kommen sollte.
Und wenig später gibt einer auch noch richtig Kontra. Es ist Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der sein vorbereitetes Manuskript zunächst beiseite lässt und seine Rede mit einer scharfen Replik beginnt: Der US-Vizepräsident habe die europäischen Demokratien in die Nähe autoritärer Staaten gerückt, sagt der SPD-Politiker. "Das ist nicht akzeptabel."
Das Europa, das Vance beschrieben habe, sei nicht "das Europa und nicht die Demokratie, in der ich lebe und in der ich gerade Wahlkampf mache", sagte Pistorius unter dem Applaus der Zuhörer. Er trete dem von Vance vermittelten Eindruck, "energisch entgegen, dass in unserer Demokratie Minderheiten unterdrückt oder zum Schweigen gebracht werden", betonte der deutsche Verteidigungsminister.
Und wenn der US-Vizepräsident am Vorabend Fernsehen geschaut hätte, hätte er das auch selbst beobachten können, sagte der deutsche Politiker. Denn da war bei der Wahlkampfrunde im ZDF neben den Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen auch AfD-Chefin Alice Weidel mit dabei.
Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte ebenfalls die Äußerungen des US-Vizepräsidenten auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Solche Aussagen zur europäischen und deutschen Innenpolitik seien an sich schon ungewöhnlich, sagte der SPD-Politiker in einem vorab verbreiteten Interview mit dem Deutschlandfunk. Scholz verteidigte die von Vance kritisierte Brandmauer gegen extrem rechte Parteien und auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Deshalb sei auch das in Deutschland bestehende Verbot nationalsozialistischer Symbole richtig.
"Die Rede von US-Vizepräsident Vance war ein bizarrer intellektueller Tiefflug und hat mit einer internationalen Sicherheitskonferenz nichts zu tun", sagte die FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. "Seine unmissverständliche ,Werte'-Botschaft lautete: dass Fake News und Lügen als alternative Meinungen zu akzeptierten seien und dass jede US-Unterstützung gestrichen würde, wenn Europa dieses nicht akzeptiert."
Schon vor seinem mit Spannung erwarteten Auftritt hatte das "Wall Street Journal" gemeldet, dass Vance an die demokratischen Parteien in Deutschland plädieren wolle, die Brandmauer zur AfD niederzureißen und mit den Rechtspopulisten zu kooperieren. Zuvor hatte bereits der Milliardär Elon Musk zur Wahl der AfD aufgerufen. Nur sie könne Deutschland retten.
Tatsächlich geht der US-Vizepräsident dann auch in seiner Rede darauf ein, dass keine Grenzen zwischen politischen Gruppierungen gezogen werden sollten, nur weil sie unterschiedlicher Meinung seien. "Es gibt keine Berechtigung für Brandmauern", ruft er in den Saal.
Und Vance gibt auch der in Teilen als rechtsextrem eingestuften AfD Schützenhilfe, indem er die "Massenmigration" als größtes Problem für die USA und Europa beschreibt. Wohin das führe, habe die jüngste mutmaßlich islamistisch motivierte Amokfahrt von München gezeigt, bei der am Donnerstag 36 Menschen teils lebensgefährlich verletzt worden waren.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verbat sich in seiner Eröffnungsrede vorsichtig eine Einmischung in den deutschen Wahlkampf, bemühte sich aber gleichzeitig, die größte Volkswirtschaft der Welt nicht zu verprellen.
Die Nato brauche zwei tragende Säulen, eine diesseits und eine jenseits des Atlantiks, hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zuvor in seiner Rede gesagt.
Und dass die Europäer deutlich mehr für die eigene Sicherheit tun müssen, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen festgestellt. Sie war mit ihrer Rede in München kurz vor Vance an der Reihe. Sie kündigte sogar an, die Ausnahmeklauseln von EU-Schuldenregeln wieder zu aktivieren, damit die Europäer mehr in die Verteidigung investieren können.
Es mache wenig Sinn, höhere Verteidigungsausgaben zu versprechen oder sich über Prozentzahlen zu streiten, wenn man gar nicht wisse, wogegen man sich verteidigen wolle, sagt US-Vizepräsident Vance.
Die größte Bedrohung sei die Unterdrückung abweichender Meinungen. "Wenn Sie Angst vor Ihren eigenen Wählern haben, können die USA gar nichts tun für Sie", sagte Vance an die Europäer gerichtet. Am Ende gibt es lediglich höflichen Applaus für Trumps Stellvertreter.