Tesla-Chef Elon Musk (l) und FOCUS-online-Kolumnistin Julia Ruhs
FOCUS-online-Kolumnistin Julia Ruhs
Sonntag, 12.01.2025, 08:10
Es ist bitter, aber das beste Social-Video dieses Wahlkampfs hat bisher AfD-Chefin Alice Weidel gelandet. Es zeigt Schüler auf Bundestags-Exkursion. Sie wollen unbedingt Selfies mit Weidel machen, doch die Lehrerin versucht, die Schüler davon abzuhalten.
"Das ist ein Sicherheitsbereich, da dürft ihr nicht frei herumlaufen", weist sie die Schüler zurecht, während einer nach dem anderen ein Foto mit Weidel knipst. "Ihr geht jetzt sofort hoch!", sagt die Lehrerin in harschem Tonfall. Die Schüler scheint das nicht im Geringsten zu beeindrucken. "Hör nicht auf den Lehrer", raunt Weidel einer Schülerin verschwörerisch zu.
Das Video ging viral. Leider geil, dachte wohl nicht nur ich insgeheim. Wäre ich Schüler, ich wäre vermutlich auch zu Weidel hingerannt. Einfach nur, um der Lehrerin eins auszuwischen. Wegen ihres überzogenen Autoritätsgehabes.
Ich erwähne dieses Video, weil es im Kleinen das zeigt, was im Großen allgegenwärtig ist. Im Großen sind die Schüler die ungehorsamen Bürger. Die Lehrerin ist die Wächterinstanz, die die Bürger vor schlimmen Dingen bewahren soll. Die schlimmen Dinge: Desinformation, Populismus, "Hass und Hetze" und natürlich die AfD.
Diese Wächterinstanz muss nicht der Staat sein. Sie findet sich heutzutage oft im publizistischen Gewand. Es sind Journalisten, die ihre Rolle überfrachten, sich als Retter der Demokratie aufspielen.
Oder gleich als neutraler Hüter der Wahrheit, wie die Faktenchecker bei "Correctiv". "Neutral"? Diese Mär glaubt man auch nur dann, wenn man scharf links der Mitte steht.
Nun hat Mark Zuckerberg eine bemerkenswerte Kehrtwende angekündigt: Facebook und Instagram sollen mehr wie X (ehemals Twitter) werden. Keine Faktenchecker mehr, stattdessen soll die Schwarmintelligenz via "Community Notes" selbst für das Faktenprüfen sorgen. Zumindest erstmal in den USA. "Die Faktenprüfer waren einfach zu politisch voreingenommen und haben mehr Misstrauen gesät, als sie jemals Vertrauen schaffen konnten", erklärt Zuckerberg.
Bald sei gar nichts mehr sicher vor "Hass und Hetze", toben jetzt so einige. Zuckerberg schwenke damit auf eine demokratiefeindliche Linie ein, meint der "Volksverpetzer". Jaja, der Volksverpetzer. Auch so ein "neutraler" Faktenfinder.
Es tut mir leid für den Zynismus, aber Zuckerberg hat Recht. Sein Konzern war wie die Lehrerin im Video von Alice Weidel: Er wollte verhindern, dass seine Schützlinge mit dem "Bösen" in Berührung kommen - mit schädlichen Inhalten, Drogen, Terrorismus, Ausbeutung von Kindern. Alles gut gemeint, aber es passierten Fehler.
Inhalte wurden eingeschränkt, an denen nichts verwerflich war. Faktenchecks wirkten oft wie die Verfolgung bestimmter Meinungen. Auch Wolfgang Kubicki (FDP), Bundestagsvizepräsident und bei weitem kein Demokratiefeind, postete, bei welchen harmlosen Inhalten ihm überall die Reichweite genommen wurde.
"Sie haben uns extrem gedrängt, Dinge zu entfernen, die wahr waren", sagt Zuckerberg. Bei solchen Worten sollten bei jedem von uns die Alarmglocken aber ganz laut schrillen.
Dennoch liest man überall in Dauerschleife, wie schlimm es sei, dass Instagram und Facebook nun so werden könnten wie X. Fluchtartig verlassen auch Hochschulen gerade die Plattform.
Denn seit X Musk gehört, gebe es dort ja so viel Hass und Hetze! Dabei scheint man zu vergessen, wie rigoros dort früher durchgegriffen wurde: Accounts wurden gesperrt, wegen simpler Tweets wie "Gendern ist totaler Müll". Die Rechtfertigung? "Hass schürendes Verhalten." Ich lach' mich tot.
Natürlich muss es Regeln in sozialen Netzwerken geben. Desinformation von ausländischen Staaten wie Russland ist ein Problem. Aber zu viel Regulierung erwischt auch zu viel vom Falschen.
In den letzten Tagen ist mir immer mal wieder ein Unbehagen über den Rücken geschlichen. Befremdlich fand ich auch den großen Aufschrei über den Gastbeitrag von Elon Musk in der "Welt". Die Redaktion hat sich letztendlich dazu entschieden, ihn zu veröffentlichen. Sogar mit Gegenkommentar, also bitte.
Trotzdem verfielen viele der Hysterie. Da fragte ich mich schon, was denn jetzt genau das Problem ist: Dass im Wahlkampf ein Milliardär einen Gastbeitrag hat schreiben dürfen zu einem bereits schwelenden Thema? Dass der Beitrag eher flach war? Oder, dass der Autor der Meinung war, die AfD sei die Rettung? Wahrscheinlich vor allem letzteres.
Der Gedanke dahinter: Bestimmte Dinge aus der Öffentlichkeit heraushalten zu wollen. Nur den "richtigen" Leuten eine Plattform bieten. Um so die Menschen vor den "falschen" Gedanken zu schützen. Alles selbstverständlich im Namen der Demokratie.
Aber wenn Debatten nicht in etablierten Medien stattfinden, dann eben woanders - so einfach ist das heute. Zu sehen auch an der Fortsetzung des Ganzen. In einem Live-Talk sprach AfD-Chefin Alice Weidel mit Elon Musk auf dessen Plattform X. Auch hier wieder, eine hochnervöse Öffentlichkeit. Schließlich biete Musk Weidel eine völlig unkritische Bühne.
Und was ist passiert? Es gab zur Abwechslung mal keine Schnappatmung auf der rechten Seite wegen eines "linksgrün-versifften" Journalisten, welcher das Interview führte. Weil Musk kein Journalist ist. Und, weil man ihm nicht im Entferntesten vorwerfen konnte, Weidel unfair behandelt zu haben.
Plötzlich richtete sich der Blick also aufs Wesentliche und der enttarnte nichts Gutes: Hitler sei ein Kommunist gewesen, behauptete Weidel. Autsch. Und junge Leute in Deutschland lernten in der Schule und der Universität angeblich nur über Gender Studies. Menschen, die selbst für meinen Geschmack deutlich zu weit rechts stehen, heulten sich aus, wie schlecht Weidel war.
Vielleicht lohnt es sich also zu überlegen, ob weniger Kontrolle manchmal nicht besser ist. Die Schüler einfach etwas freier herumlaufen lassen im Bundestag. Dann wird das Selfie mit Weidel auch nicht zur Trophäe.
Debatten offener führen, dann schreit auch niemand mehr ständig "Zensur". Und wählt am Ende die AfD wegen der "eingeschränkten Meinungsfreiheit". Wir sollten ja nicht selbst autoritär werden, nur, um uns vor dem Autoritären zu schützen.