18.02.2025, 08.16 Uhr
Foto: imageBROKER / Stefan Ziese / IMAGO
Der Angreifer verschwand, konnte aber kurz darauf festgenommen werden. Tatverdächtig ist der geflüchtete Mohammad H., der schon seit März 2024 als Intensivtäter geführt wird. 156 mutmaßliche Straftaten hat die Polizei registriert.
Es ist die Geschichte einer gescheiterten Integration eines Mannes, der sich womöglich nicht die Hilfe nahm, die er brauchte. Immer wieder wurde er straffällig. Die Behörden versuchten, ihn zu stoppen - aber es gelang ihnen erst spät.
Die Tat fällt in eine aufgeheizte Zeit. Migration ist das dominierende Thema im Wahlkampf. Zugleich häuften sich in Mecklenburg-Vorpommern, wo Mohammad H. lebte, die öffentlich begangenen Messerangriffe. Drei Taten in einer Woche. Die enge zeitliche Abfolge machte die Taten zum Politikum: Der Innenausschuss beschäftigte sich damit, Minister Christian Pegel (SPD) musste Rede und Antwort stehen.
In Schwerin starb am Dienstag, 4. Februar, ein 17-Jähriger aus Afghanistan nach einem mutmaßlichen Messerangriff; die Polizei fahndet öffentlich nach dem Tatverdächtigen, der ebenfalls aus Afghanistan kommt. In Rostock wurde am Donnerstag eine Frau aus Syrien in einem Hinterhof angegriffen, sie war auf dem Weg zu einem Sprachkurs. Die Frau überlebte schwer verletzt. Am Sonntag dann traf es die Gassigängerin in Wismar.
Nur wenige Stunden nach dem Angriff in Rostock versammelten sich in der Innenstadt 65 Männer. Sie waren laut Polizei zwischen 20 und 40 Jahre alt und zogen zu Fuß durch das Zentrum. Sie hatten sich offenbar in den sozialen Medien verabredet, um "Präsenz zu zeigen". Nach SPIEGEL-Informationen handelt es sich dabei um Mitglieder der gewaltbereiten Fußballszene, die sich als eine Art "Bürgerwehr" inszenieren wollten.
So ist die Lage, als Innenminister Pegel am Freitag vor den Ausschuss trat. Er soll zu den drei Messerangriffen Auskunft geben, die Sitzung wird mehr als drei Stunden dauern. Es ist vor allem der Fall Mohammad H., der Fragen aufwirft.
Foto: Marc Stinger / IMAGO
Mohammad H. reiste im Spätsommer 2022 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde vom zuständigen Bundesamt Bamf abschlägig beschieden, da er nicht mitwirkte: H. machte keine Angaben zu seiner Identität und legte keine Papiere vor. Die Ausländerbehörde hielt ihn zunächst für einen Afghanen und sah aufgrund des seit 2021 geltenden Abschiebestopps keine Möglichkeit der Rückführung.
Sein Fall zeigt: Wer nicht mitwirkt, darf zunächst bleiben, oft Jahre. Wohin soll auch jemand abgeschoben werden, dessen Identität nicht feststeht?
Mohammad H. lebte in einer Asylunterkunft in Wismar. Einen Job oder eine Ausbildung nahm er nicht auf, als Geduldeter ist ihm der Zugang dazu erschwert, aber nicht unmöglich.
Schon bald nach seiner Ankunft wurde er straffällig, seine Delikte häuften sich. Am Ende zählte die Polizei 99 Vorgänge mit 156 mutmaßlichen Straftaten. Darunter zahlreiche Hausfriedensbrüche, was im Grunde heißt, dass er in Läden zurückkehrte, in denen er bereits Hausverbot hatte, etwa, weil er dort gestohlen haben soll.
Ende 2023 wurde er vom Amtsgericht Wismar für elf Straftaten verurteilt. Zur Hauptverhandlung war Mohammad H. nicht erschienen, deswegen erging der Strafbefehl über 120 Tagessätze.
Im Urteil steht dies: Im März 2023 riss er einen Seifenspender in seiner Unterkunft herunter und schlug ein Loch in die Wand. Er warf einen Stein auf ein Fahrzeug, er fuhr ohne Ticket Zug. Im Juni 2023 trat er gegen eine Ampel und sprang dagegen. Als ihn ein Passant aufforderte aufzuhören, schubste Mohammad H. den Mann, der daraufhin mit seinem Fahrrad umfiel. Kurz darauf begegnete H. einer Frau, die einen Kinderwagen schob, rannte auf sie zu und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann trat er in einem Laden grundlos gegen den Oberschenkel eines Mannes, der in einem Elektromobil für Gehbehinderte saß.
Das Urteil wurde im Januar 2024 rechtskräftig. Ab März 2024 wurde Mohammad H. als Intensivtäter geführt. Er verbüßte von März bis August des Jahres eine Haftstrafe, da er den Strafbefehl nicht bezahlte. Doch auch danach beging er offenbar weiter Straftaten. Im Januar dieses Jahres etwa soll er eine Jugendliche am Bahnhof in Wismar belästigt und geschlagen haben, so notierte es die Polizei.
Die Zahl der mutmaßlichen Delikte Mohammad H.s ist lang. Doch es sind Taten, die täglich an deutschen Amtsgerichten verhandelt werden. Eine Abschiebung begründen sie in der Regel nicht, dafür braucht es schwere Taten mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr.
Bewegung in sein Asylverfahren kam erst Ende September 2024. Die Bundespolizei teilte den Behörden in Mecklenburg-Vorpommern mit, dass Mohammad H. bereits in Griechenland als Flüchtling anerkannt wurde und aus Iran stamme - und nicht aus Afghanistan, wie es die Ausländerbehörde vermutete. Dopplungen wie diese sollte das europäische System Eurodac eigentlich verhindern: Wer einmal in der EU per Fingerabdruck registriert ist und in einem anderen Land auftaucht, sollte einen Treffer erzeugen. Warum das in diesem Falle nicht klappte, ist nicht geklärt.
Die Information der Bundespolizei ist die Wende in seinem Asylverfahren. Mitte Oktober wurde Mohammad H. zur Rücküberstellung angemeldet. Die griechischen Behörden stimmten am 2. Dezember zu, wie es Innenminister Pegel im Innenausschuss des Schweriner Landtages erklärte. Ab diesem Moment, dem 2. Dezember, war H. "vollziehbar ausreisepflichtig", wie es im Beamtendeutsch heißt.
Trotzdem sollte es noch gut zwei Monate dauern, bis er das Land verlassen musste. Es brauchte Personal der Bundespolizei, Mohammad H. musste zu der geplanten Rücküberstellung angehört werden, es brauchte Behörden, die sich abstimmen. Innenminister Pegel sagte im Ausschuss: "Alle haben die Abschiebung konsequent vorangetrieben." Es klingt fast, als sei es ein Erfolg, dass es überhaupt gelang.
Die Behörden bereiteten also die Abschiebung vor und versuchten parallel, so Pegel, Mohammad H. von der Straße zu bekommen. Bei einer "Fallkonferenz" besprachen sich Polizei und Ausländerbehörden dazu. Mohammad H. wurde vom 16. bis 26. Januar in Langzeitgewahrsam genommen, um weiteren Straftaten vorzubeugen.
Danach soll er wieder Hausfriedensbruch begangen haben, am 27. Januar war er erneut in Gewahrsam. Ebenso nach einem Diebstahl vom 30. Januar bis 4. Februar.
Die Behörden hatten Mohammad H. auf dem Schirm, stoppen konnten sie ihn nicht. Die Abgeordneten im Schweriner Innenausschuss sprechen von einem "Systemversagen auf europäischer Ebene", von einem "Entscheidungsversagen" der mit dem Fall beteiligten deutschen Gerichte. "Nach außen ist das schwer vermittelbar", sagt Innenminister Pegel.
Am 9. Februar soll Mohammad H. die Frau, die mit ihrem Hund unterwegs war, angegriffen haben. Daraufhin wurde er in einer Psychiatrie untergebracht. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte ihn ein Gutachter in einem anderen Ermittlungsverfahren befragt. Der Experte kam zu dem Ergebnis, dass Mohammad H. schuldunfähig sein könnte. Spielte eine psychische Erkrankung eine Rolle bei den vielen Straftaten? Falls ja: Warum bekam er keine Hilfe? Sozialarbeiterinnen hätten ihn in "regelmäßigen Gesprächen" gefragt, ob er psychologischen Beratungsbedarf habe, so teilt es der Landkreis Nordwestmecklenburg mit. Mohammad H. habe abgelehnt. Dazu zwingen kann man ihn nicht.
Am 14. Februar hatten die Behörden alles, was sie brauchen. Ein Land, das Mohammad H. aufnimmt, seine Identität stand fest und die Bundespolizei konnte Personal bereitstellen, das ihn begleitet. Mohammad H. wurde an dem Freitag aus der Psychiatrie abgeholt und nach Griechenland gebracht.