Industrie Ostdeutschland verliert Tausende Auto-Jobs - die AfD gewinnt

Daniel Delhaes

25.04.2025 - 14:11 Uhr

In wenigen Jahren haben allein in der Auto-Region Thüringen Dutzende Standorte geschlossen. Unter den verbliebenen 66.000 Beschäftigten wächst der Frust, dabei gibt es auch neue Chancen.

Opel-Werk in Eisenach: Die Mitarbeiter protestierten vor Jahren bereits gegen die Sparpläne.
Foto: IMAGO/Paul-Philipp Braun

Berlin, Erfurt. Unter der Woche musste Rico Chmelik ein weiteres Unternehmen in seine Excel-Tabelle mit dem Titel: "Standortschließungen Thüringen", eintragen: den Automobilzulieferer Bohai Trimet. Die Alu-Gießerei mit Standorten im thüringischen Sömmerda und im sachsen-anhaltinischen Harzgerode hat Insolvenz angemeldet. 680 Menschen bangen nun um ihre Arbeit. Für Chmelik ist es die Nummer 31 - seit 2019.

Chmelik leitet Automotive Thüringen, ein Netzwerk der Automobilbranche, das die Transformation begleitet und den Dialog mit der Politik in dem Autoland führt. Es geht darum, die mehr als 100 Jahre währende Tradition zu erhalten. Denn rund um Eisenach liefen und laufen mit BMW, Wartburg und Opel Autos traditionsreicher Marken vom Band. 66.000 Menschen arbeiten laut Landesentwicklungsgesellschaft heute in dem Bereich. Mehr sind es nur im Tourismus.

Die Standortschließungen sind daher auch politisch brisant. Union und SPD, die wahrscheinlich die nächste Bundesregierung bilden werden, wollen helfen - und auch die Landesregierung kündigt an, den Mittelstand zu unterstützen.

Zahl der Standortschließungen in Thüringen steigt massiv

Die Tabelle von Chmelik und seinem Team zeigt: Von 2019 bis 2023 gingen in der Zulieferindustrie durch Standortschließungen oder Insolvenzen 2315 Stellen verloren. 2024 waren es allein 2620. Und in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres waren es bis Dienstag bereits 1115, zu denen womöglich 100 Stellen am thüringischen Standort der Bohai Trimet kommen: also 1215. Hochgerechnet aufs Jahr könnte es ein weiteres Rekordjahresminus werden.

In der Staatskanzlei in Erfurt wird die Entwicklung genau beobachtet. Hier geht die Sorge um, dass der französische Autobauer Stellantis, zu dem Opel gehört, womöglich eines Tages ausschließlich in günstigeren Regionen Europas produzieren könnte. Schließlich stockt der Markt für E-Autos in Deutschland, auch wenn Opel im ersten Quartal laut Kraftfahrt-Bundesamt mit 7000 Fahrzeugen etwa 1400 mehr als im Vorjahreszeitraum verkauft hat.

Opel-Werk in Eisenach: Opel lässt in Thüringen den Grandland herstellen
(Archivbild). Foto: dpa

"Es wäre für die Region Westthüringen ein verheerendes Signal", sagt Chmelik - und ebenso für die Politik. Opel produziert in Eisenach mit etwas mehr als 1000 Mitarbeitern den vollelektrischen Grandland.

Im Dezember hatte Automotive-Thüringen in seinem Branchenreport die Lage beschrieben: Die vornehmliche Zulieferstruktur ist massiv von der Krise der großen Autobauer betroffen. Zwei Drittel aller Zulieferer leiden direkt unter den Sparmaßnahmen der Volkswagen AG. Drei Viertel aller befragten Zulieferer verzeichneten bereits 2024 rückläufige Umsätze. 83 Prozent befürchteten weitere Umsatzeinbußen angesichts der Sparmaßnahmen der Großen.

Die Transformation bietet Chancen - doch vor Ort überwiegt ein anderer Eindruck

Die Mehrheit der 200 produzierenden Zulieferer, von denen 100 geantwortet hatten, sehen die Transformation derzeit (54 Prozent) als Belastung und nur elf Prozent als Chance.

Während ein Unternehmer im Zweifel den Standort schließt, machen die Beschäftigten ihren Sorgen anders Luft: Sie wählen die AfD. Teilweise waren es laut Chmelik bei der Bundestagswahl in manch einem Betrieb mehr als 35 Prozent der Belegschaft. Die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei kam in Thüringen auf 38,5 Prozent und war damit fast doppelt so stark wie die AfD bundesweit.

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In einer über drei Jahre dauernden Untersuchung in Form von Experteninterviews von Stakeholdern der Branche konnte Chmelik die Stimmung und damit Gründe identifizieren: Wegen der Lohnungleichheit zwischen Ost und West halten die Beschäftigten in Ostdeutschland ihre Leistung nicht für ausreichend anerkannt.

Auch fühlen sie sich angesichts der Klimadebatte und der Kritik am Auto abgewertet. Obendrein haben sie Angst, ihre Arbeit zu verlieren. "Der Wunsch und die Sehnsucht der Beschäftigten bestehen vielfach in einer Begegnung auf Augenhöhe zwischen Wirtschaft und Politik sowie Geschäftsleitung und Belegschaft", sagt Chmelik. Wichtig sei es daher, durch Gespräche, Diskurse und Begegnungen ein Verständnis füreinander und für die Veränderung zu entwickeln.

Schließlich liegen laut Automotive Thüringen im Wandel auch durchaus Potenziale. Nach Berechnungen im Netzwerk könnten zwar rund 3500 Arbeitsplätze im Bereich der Karosserie- und Metallmechaniker, bei ungelernten Fachkräften und der einfachen Logistik verloren gehen.

Zugleich aber würden im Bereich Mechatronik, Software und IT, Steuerungselektronik und Programmierung 4500 Arbeitsplätze entstehen - ein Plus von 1000 Jobs. "Qualifizierung des Bestandspersonals ist demzufolge das Gebot der Stunde", empfiehlt Chmelik. Das gelte auch und gerade angesichts der Standortschließungen. Freigesetzte Beschäftigte könnten derzeit neu entstehende Stellen in den Bereichen Batterie, Halbleiter und Software oft nicht besetzen.

Anstatt sich auf die Zukunft einzustellen, plädiert dennoch jeder fünfte Zulieferer in Thüringen dafür, das Verbrennerverbot ab 2035 aufzuheben. Die Unternehmen erwarten zudem von der Politik, dass sie den Markt für Elektroautos stärker unterstützt.

Hilfe für Autoindustrie: Das planen Bund und Land

In der Tat hat die vermutlich nächste Bundesregierung aus Union und SPD ein umfangreiches Förderpaket vereinbart: Union und SPD wollen etwa den Kauf eines E-Dienstwagens künftig bis zu einem Preis von 100.000 Euro steuerlich begünstigen, Sonderabschreibungen ermöglichen, die Befreiung von der Kfz-Steuer bis 2035 verlängern, Plug-in-Hybride ermöglichen und den Ausbau des Ladenetzes stärker fördern.

Unterdessen verbreitet der neue Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) Zuversicht für den Mittelstand in Thüringen. "Wir wollen Thüringens Unternehmen krisenfester und zukunftssicher aufstellen", sagte er dem Handelsblatt. Mit einem neuen "Thüringen-Fonds" will das Land Wachstum und Nachfolgen im Mittelstand finanzieren. "Thüringen soll der robusteste Mittelstandsstandort Deutschlands werden, und dazu wollen wir unter die Top drei der Wachstumsregionen kommen."


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