In Deutschlands schlimmstem Plattenbau: Sozialbetrüger kassieren doppelte Miete vom Amt

Allein ein Verwalter wartet auf 854.551,53 Euro

Stefan Sievering

20.10.2025 - 07:15 Uhr

Göttingen (Niedersachsen) - Müll, Ratten und jede Woche Polizeieinsätze. Der Wohnblock "Groner Landstraße 9" in Göttingen gilt als Deutschlands schlimmster Plattenbau. Die Miete zahlt meist das Jobcenter. Doch das Geld kommt in vielen Fällen nie beim Vermieter an. Ein Viertel der Bewohner soll es in die eigene Tasche stecken - und am Ende sogar doppelt kassieren.

Der Plattenbau "Groner Landstraße 9" gilt als eines der schlimmsten Mietshäuser Deutschlands
Foto: Marcus Prell

Immer wieder berichten Medien deutschlandweit über den Problem-Block von Göttingen (Niedersachsen). Als BILD Ende August vor Ort war, bot sich ein unfassbares Bild: eingetretene Türen, kaputte Fahrstühle, Müllberge, die sich im Hof und auf den Fluren türmen. Ein Video zeigt Bewohner, die aus ihrem Küchenfenster Ratten angeln.

Sebastian Fesser (47) steht an einer leer stehenden Wohnung des Hauses, die voller Müll ist
Foto: Marcus Prell

759 Menschen aus 30 Nationen leben in Deutschlands schlimmstem Plattenbau, darunter Asylbewerber, Menschen aus den EU-Balkanstaaten und Sozialhilfeempfänger. Fast alle Bewohner beziehen Bürgergeld. Zusätzlich zahlt das Jobcenter für Unterkunft und Nebenkosten. "Damit ich die Miete vom Jobcenter direkt bekomme, lasse ich mir vom Mieter üblicherweise eine Abtretungserklärung unterschreiben", sagt Vermieter Sebastian Fesser (47).

Einladung zum Sozialbetrug

Verwalter Dominik Fricke (30) klagt über massiven Mietbetrug im Plattenbau
Foto: Coeles Group

Doch diese Abtretungserklärung kann jeder Mieter einseitig widerrufen - und viele tun das auch. "Dann ist das Amt verpflichtet, den Mietbetrag aufs Konto des Mieters zu überweisen", sagt Fesser. Es ist eine Einladung zum Sozialbetrug. "Nicht selten verprassen die Empfänger dieses Geld, ohne es an den Vermieter weiterzuleiten."

Das Mietgeld vom Amt wird einfach verprasst

Der Landkreis Göttingen bestätigt diese Vorgehensweise: "Generell besteht zwischen dem Jobcenter und dem Vermieter kein Vertragsverhältnis. Bürgergeldleistungen für Unterkunft und Heizung können auf Antrag des leistungsberechtigten Mieters direkt an den Vermieter überwiesen werden. Es steht dem Mieter grundsätzlich frei, eine solche Einwilligung auch mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen."

Von 161 Mietern haben 145 Mietschulden

Nach Einschätzung des Geschäftsführers der Hausverwaltung "Coeles Group", Dominik Fricke (30), wenden bereits ein Viertel der Mieter diesen Trick an. Fricke verwaltet 316 Wohnungen in dem Haus, etwa die Hälfte davon steht leer. "Von 161 Mietern haben 145 Mietschulden", sagt Fricke. "Schätzungsweise 40 davon kassieren Mietgeld vom Jobcenter, leiten es aber nicht weiter. Allein aus den letzten beiden Jahren stehen 854.551,53 Euro unbezahlte Mieten aus."

Die Mietschulden übernimmt der Staat

Doch damit nicht genug. Wenn die Mieter mit ihren Zahlungen mehrere Monate im Rückstand sind, sodass die Räumung droht, gehen sie laut Fesser wieder zum Amt: "Meist bekommen sie dann ein zinsloses Darlehen, um die Mietschulden zu tilgen und nicht wohnungslos zu werden. Sie kassieren also doppelt."

Tatsächlich gewährt die Behörde lieber ein Darlehen, schießt also Geld nach, als die Mieter auf die Straße setzen zu lassen. Denn neue, günstige Unterkünfte für Bürgergeldempfänger sind nur schwer zu finden. Das Jobcenter räumt ein: "Bestehen Mietschulden, können diese unter gewissen Voraussetzungen zur Abwendung einer drohenden Wohnungslosigkeit als Darlehen übernommen werden."

Der Betrug am Sozialstaat wird da offenbar in Kauf genommen.


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