von
Julius Betschka
02. April 2025 18:11 Uhr 4 Min
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Die deutsche und europäische Asylpolitik ist zynisch und inhuman. So hat es der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu Beginn der Woche in einer viel beachteten Rede gesagt. Seitdem wird ihm Trumpismus unterstellt und von SPD, Grünen und Linken der Rücktritt nahegelegt. Dabei hat BAMF-Chef Eckhard Sommer in vielen Punkten recht. Der Status quo in der Asylpolitik ist schon lange nicht mehr hinnehmbar. Nicht für Flüchtlinge und nicht für die aufnehmenden Gesellschaften.
Es gilt längst das Recht des Stärkeren: Es kommen nicht die verletzlichsten Menschen in Europa an, sondern meist junge Männer, die sich die Kosten für Schlepper leisten können. 2023 waren mehr als 70 Prozent der Asylbewerber männlich, über die Hälfte aller waren Männer zwischen 16 und 40. Viele von ihnen sind Armutsmigranten, nicht politisch Verfolgte, für die das Asylrecht einmal gedacht war.
Die EU-Staaten haben in den vergangenen Jahren Flüchtlingen den Grenzübertritt erheblich erschwert. Sie schotten sich mit Zäunen, Drohnen, Grenzern gegen Migranten ab. Die Flucht nach Europa ist immer gefährlicher geworden. Das derzeitige System sorgt für ein florierendes Geschäft für Schlepperbanden und die autokratischen Regime rings um die EU.
Trotz teils brutaler Gegenmaßnahmen der EU wächst die Zahl der Flüchtlinge gerade in Deutschland. Inzwischen 3,5 Millionen Menschen hierzulande sind Geflüchtete, so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Wie viele Menschen mehr, dazu aus aller Welt, kann ein Gemeinwesen integrieren?
Natürlich, es gibt Hoffnungsschimmer. Zuletzt kamen 35 Prozent weniger Migranten nach Deutschland als noch im ersten Quartal des Vorjahres. Das ist aber nicht in erster Linie der Erfolg Deutschlands, sondern ein Ergebnis der Schließung der Balkanroute durch Serbien. Diese dürfte jedoch, wie auch BAMF-Chef Sommer sagte, nicht von Dauer sein. Zugleich nutzt Wladimir Putin Flüchtlinge immer stärker als Instrument seiner hybriden Kriegsführung.
Ja, Deutschland braucht Migration. Auch deshalb müsste man denen, die als asylberechtigt anerkannt sind, das Ankommen hierzulande erleichtern, sie integrieren, nicht schikanieren. Es braucht schnelle Verfahren, schnelle Sprachkurse, schnelle Jobs.
Aber wer soll das alles noch schaffen, bei so einer großen Zahl? Wer soll es bezahlen? Schon jetzt werden jährlich rund 40 Milliarden Euro im Jahr zur Versorgung aufgewandt, dazu fließen zehn Milliarden in die Bekämpfung von Fluchtursachen.
Die Kommunen sind überfordert, Sprachlehrer, Sozialarbeiter, Erzieher fehlen. Mehr psychologische Betreuung? Unbedingt! Nur gibt es die dafür nötigen Psychologen nicht. In den Großstädten vegetieren Frauen, Alte und Kinder in Großunterkünften. Nicht, weil man sie bestrafen will, sondern weil Wohnungen für alle fehlen. Asylverfahren dauern teils Jahre. Die politischen Kosten sind da noch nicht einmal mit eingerechnet.
Die deutsche Politik führt derweil Phantomdebatten. Olaf Scholz beschwört Abschiebungen "im großen Stil", wohl wissend, dass man selbst als abgelehnter Flüchtling großes Pech haben muss, um abgeschoben zu werden. Friedrich Merz versprach im Wahlkampf einen "faktischen Einreisestopp" von Flüchtlingen, nur um später einzuräumen, dass man rund 4000 Kilometer deutsche Grenze natürlich nicht komplett schützen könne und schon gar nicht schließen wolle. Auch das Ausfliegen von Migranten in Staaten wie Ruanda wirkt wie eine hilflose Idee.
All diese Forderungen taugen für Schlagzeilen. Seriös sind sie im Ergebnis kaum. Sie werden deshalb zu Enttäuschungen bei den Bürgern führen. Zu Misstrauen gegenüber demokratischer Politik. Wie souverän ist ein Staat, der nicht die Hoheit über den Schutz seiner Grenzen hat?
Sommer leitet aus diesem zynischen und politisch gefährlichen Status quo einen radikalen Schritt ab. Der BAMF-Chef will das individuelle Recht auf Asyl abschaffen. Er warnt die Bundesregierung zugleich vor nationalen Alleingängen und will stattdessen ein System schaffen, bei dem die EU jährlich eine große Zahl von Flüchtlingen im Rahmen humanitärer Programme aufnimmt. Ähnlich, wie es Kanada macht.
Es gibt starke Argumente gegen dieses drastische Fazit. Was passiert, wenn die Kontingente erschöpft sind? Was passiert, wenn in kurzer Zeit - etwa durch eine Naturkatastrophe oder einen Bürgerkrieg - besonders viele Menschen fliehen müssen? Kann ein Ende des Asylrechts als "Einreiserecht" den weltweiten Flüchtlingsschutz gefährden?
Diese Fragen berühren den Kern europäischer Werte. Aber das jetzige System verletzt sie mindestens ebenso.
Trumpistisch ist Sommers Grundgedanke nicht und kein Rücktrittsgrund. Er stellt vielmehr die für sein Amt entscheidende Frage: Wie hält man möglichst viele Menschen davon ab, sich auf den tödlichen und in vielen Fällen aussichtslosen Weg nach Deutschland zu machen und hilft trotzdem Menschen in Not?
Auch wenn man seine Schlussfolgerung nicht teilt, sollte man dem langjährigen BAMF-Chef zuhören, statt ihn zu beschimpfen. Das Herumdoktern am unfairen EU-Asylsystem verbessert die Lage bisher kaum. Wenn nun in den laufenden Koalitionsgesprächen auch noch Geld bei der Bekämpfung von Fluchtursachen und vorhandenen Aufnahmeprogrammen gestrichen wird, zeigt das vor allem, wie wenig das Problem verstanden wird.