Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
05.04.2025, 13:50 Lesezeit: 5 Min.
Viele Vorhaben, die unter den Koalitionsunterhändlern umstritten sind, werden gerade öffentlich unter die Lupe genommen. Aber vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfährt eine Initiative, die schon als "geeint" gilt und deshalb auch so im Koalitionsvertrag auftauchen dürfte: die Intensivierung des Kampfs gegen "Hass und Hetze".
Was auf den ersten Blick vernünftig klingt - wer mag schon Hass und Hetze? -, wirft beim zweiten Hinsehen komplexe Fragen auf, die nicht zuletzt das Debattenklima im Land beeinflussen können. Kritiker fürchten, dass unter einem unverdächtig klingenden Rubrum der Diskursraum verengt wird. Die frühere FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg spricht gegenüber der F.A.S. von einem "hochproblematischen" Plan und fürchtet einen zunehmenden "Einschüchterungseffekt". Tatjana Hörnle, Direktorin des Freiburger Max-Planck-Instituts für die Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, fragt sich, ob die "Balance" noch stimmt. Unter Strafrechtlern herrsche eigentlich die Meinung vor, "bei Äußerungsdelikten im Zweifel zurückhaltend zu sein".
Union und SPD planen konkrete Maßnahmen. "Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen", heißt es im Verhandlungspapier. So soll bei mehrfacher Verurteilung das passive Wahlrecht entzogen werden können.
Als aktuelles Beispiel ließe sich der Rechtsstreit um eine Äußerung der Journalistin Anabel Schunke anführen. Sie hatte sich in einem Post abfällig über "einen großen Teil der Sinti und Roma" geäußert, dem sie unter anderem unterstellte, zu klauen und Müll auf die Straße zu werfen, was ihr ein langwieriges Verfahren wegen Volksverhetzung eintrug. Eine pauschale, historisch unsensible Kritik - aber ungedeckt von der Meinungsfreiheit? Die Gerichte sahen das bisher unterschiedlich.
Dass man in Deutschland offen seine Meinung sagen kann, fanden in Umfragen der Achtzigerjahre noch mehr als achtzig Prozent der Bürger. Heute ist es nicht einmal mehr die Hälfte. Die Angst, gesellschaftlich an den Pranger gestellt zu werden, spielt dabei eine Rolle, aber auch die konkrete Sorge vor juristischen Konsequenzen. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki rechnete unlängst vor, dass sich die Zahl der Äußerungsdelikte allein in den Jahren 2020 bis 2023 vervierfacht habe, und warnte davor, dass "das Gift des Misstrauens und der Einschüchterung in unsere politische Debatte einsickert". Die Juristin Hörnle tut sich zwar schwer, das Phänomen wie Kubicki mit Zahlen zu belegen, sieht aber bei Meinungsdelikten "auf der Kriminalisierungsebene eine klare Ausweitungstendenz".
Die will die Koalition in spe nun noch verstärken. Künftig soll auch gegen "Informationsmanipulation" vorgegangen werden, und zwar "auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben". Im Verhandlungspapier wird festgehalten, dass "die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist".
Der Satz bezieht sich auf ein Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2011, in dem es aber auch heißt, dass
In der Koalitionsarbeitsgruppe Kultur und Medien wird versichert, dass man keinesfalls die Meinungsfreiheit einschränken wolle. Vielmehr gehe es um das Unterbinden systematischer Desinformationskampagnen im Netz. Auch solle das auf EU-Ebene geregelt werden, im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (DSA). Aber die Formulierungen im Text zeigen, dass auch nationale Maßnahmen ergriffen werden sollen. Als Wächter über die Wahrheit schwebt den Koalitionspartnern die "staatsferne Medienaufsicht" vor. Damit dürften die Landesmedienanstalten, deren Mitglieder zum Teil von Landesparlamenten bestimmt werden, gegen "Informationsmanipulation" vorgehen.
Laut Verfassungsrechtler Möllers wird es "nicht einfach, dieses Vorhaben verfassungsgemäß zu gestalten". Wie sehen gesetzliche Vorgaben aus, mit denen entschieden werden kann, ob eine Information manipuliert wurde und ob eine Tatsachenbehauptung wahr ist? Strafrechtlerin Hörnle kritisiert, dass die Idee, falsche von korrekten Tatsachenbehauptungen trennen zu wollen, "eine Eindeutigkeit suggeriert, die es so nicht gibt". Schon die in Mode gekommenen "Fakten-Checker" hätten Mühe, richtig und falsch zuzuordnen; bekanntlich fließen oft politische Präferenzen mit ein.
Teuteberg, die sich in den vergangenen Jahren vor allem in Demokratiefragen engagiert hat, erinnert daran, dass "Kenntnisstände wechseln können".
Reuters
Hörnle hält die geplanten Verschärfungen eher für "Symbolpolitik" von Politikern, die Handlungsbereitschaft demonstrieren wollten. Vor allem der immer zentraler werdende Begriff "Hass" sei so unpräzise, dass "der Strafrechtler damit gar nichts anfangen kann". Teuteberg sorgt sich hingegen um die Demokratie. Auf einer prinzipiellen Ebene riskiere der Staat beim Versuch, die Freiheit vor autoritären Bedrohungen zu schützen, seinen freiheitlichen Charakter aufs Spiel zu setzen und selbst autoritärer zu werden. Hinzu kämen oft politische Absichten.
Aus diesen Gründen wehrte sich Teuteberg auch, zusammen mit der Union, gegen die staatliche "Demokratieförderung", nicht zuletzt weil manche der geförderten NGOs gegen missliebige Meinungen oder Haltungen vorgingen. Als Beispiel galt die Meldestelle Antifeminismus der Amadeu-Antonio-Stiftung, die der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries als "Petzportal" bezeichnete, das Denunziantentum und Illiberalität fördere.
Noch kurz vor den Sondierungsgesprächen hatte die Unionsfraktion demonstrativ die rot-grüne Bundesregierung mit 551 Fragen bombardiert und kritisiert, dass sich hinter dem 200 Millionen schweren Bundesprogramm "Demokratie leben" linksgrüne "Schattenstrukturen" verbergen würden. Jetzt will die Union, zur Überraschung einiger ihrer Abgeordneter, das umstrittene Förderprogramm gemeinsam mit der SPD "fortsetzen", wie es in der zuständigen Arbeitsgruppe einvernehmlich heißt.