Veröffentlicht am 29.10.2024 Lesedauer: 4 Minuten
Quelle: WELT TV
In der Ukraine hat ein hoher Militär Berichte von massiven Problemen an der Front im Westteil des Gebietes Donezk bestätigt. "Wir wissen alle, dass ich kein militärisches Geheimnis verrate, wenn ich sage, dass unsere Front zusammengebrochen ist", sagte Generalmajor Dmytro Martschenko in einem am Montagabend veröffentlichten Videointerview des Ex-Parlamentsabgeordneten Boryslaw Beresa. Die russischen Truppen seien bereits in die Stadt Selydowe eingedrungen und würden diese seiner Prognose nach bald erobert haben. Dienstagmittag erklärte das russische Verteidigungsministerium die Einnahme der Stadt.
Martschenko nannte mehrere Gründe für den russischen Vormarsch. "Erstens sind das fehlende Munition und Waffen, zweitens sind das fehlende Leute, es gibt keine Leute, keinen Ersatz, die Soldaten sind müde, sie können die Frontlinie nicht abdecken, an der sie sich befinden", klagte der Generalmajor. Zudem sei die Kommandoführung nicht optimal. Martschenko war zu Kriegsbeginn mit der erfolgreichen Verteidigung der südukrainischen Gebiete Mykolajiw und Cherson bekannt geworden.
Auch Medienberichte legen ein rasches Vorrücken der russischen Truppen in der vergangenen Woche nahe. Russland habe vom 20. bis zum 27. Oktober insgesamt 196 Quadratkilometer eingenommen, berichtete die Mediengruppe Agentstwo, die sich auf die Analyse von offen zur Verfügung gestellten Karten der Ukraine beruft.
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Die Nachrichtenagentur AFP ermittelte unter Berufung auf Daten des in den USA ansässigen Instituts für Kriegsstudien (ISW), die russische Armee sei seit Anfang Oktober auf 478 Quadratkilometer auf ukrainisches Territorium vorgedrungen.
Bis zum 27. Oktober hatten die russischen Truppen demnach mehr Gebiet unter ihre Kontrolle gebracht, als im August und im September, als die Gebietsgewinne jeweils 477 und 459 Quadratkilometer betrugen. In den beiden Monaten war es bereits zu erheblichen Verschiebungen der Frontlinie, insbesondere in der ostukrainischen Region Donezk rund um die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk gekommen.
Zwei Drittel des russischen Gebietsgewinns im Oktober entfallen auf die Region Donezk, wo sich die Russen Pokrowsk vom Süden und vom Osten her nähern. Die ukrainische Armee ist an der Ostfront angesichts der zahlenmäßig überlegenen und besser bewaffneten russischen Soldaten in Schwierigkeiten.
Quelle: Infografik WELT
Zuletzt war den russischen Truppen im März 2022 ein derartiger Vorstoß gelungen, als sie in Richtung Kiew vordrangen. Im gesamten Jahr 2023 nahmen sie 584 Quadratmeter des ukrainischen Territoriums ein, die seit dem 1. Januar 2024 eingenommene Fläche beträgt 2660 Quadratkilometer.
Zusammen mit der 2014 annektierten Krim und den Gebieten im Donbass, die bereits vor der russischen Offensive von den Separatisten kontrolliert wurden, kontrolliert Moskau derzeit etwa 18,2 Prozent des ukrainischen Territoriums.
Währenddessen attackiert Russland auch weiterhin ukrainische Städte abseits der Front. Herabfallende Trümmer einer zerstörten russischen Drohne verletzten in Kiew nach ukrainischen Angaben zwei Menschen und setzten ein Wohnhaus in Brand. Eines der Opfer im Stadtteil Solomjanskyj sei ins Krankenhaus gebracht worden, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko über seinen Telegram-Kanal mit. Zudem seien mehrere Autos in Brand geraten. Ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Reuters berichtete von Rauch, der über dem Wohnviertel im Westen Kiews aufsteige. Fotos der Kiewer Militärverwaltung zeigten ein brennendes Wohnhaus, auch mehrere Autos standen in Flammen.
Auch im Stadtteil Swjatoschynskyj seien Drohnen-Trümmer niedergegangen, teilte die Militärverwaltung mit. Über Schäden war zunächst nichts bekannt.
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Bei einem nächtlichen Bombenangriff auf die ukrainische Stadt Charkiw sind zudem mindestens vier Menschen ums Leben gekommen. Das teilte der Bürgermeister von Charkiw, Ihor Terekhov, auf seinem Telegram-Kanal mit.
Vor dem Hintergrund von Berichten über Tausende nach Russland entsandte nordkoreanische Soldaten ist derweil die nordkoreanische Außenministerin Choe Son Hui nach Russland gereist. Die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA berichtete von der Abreise ihrer Delegation, nannte aber keine Details zu den Hintergründen. Mit dem Besuch der Ministerin wächst die Sorge westlicher Staaten mit Blick auf die nordkoreanische Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Zuvor hatte das US-Verteidigungsministerium erklärt, Nordkorea habe etwa 10.000 Soldaten nach Russland geschickt. Diese sollten in den kommenden Wochen gegen die Ukraine in den Kampf ziehen, sagte die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh am Montag. Einige Soldaten seien bereits näher an die ukrainische Grenze geschickt worden.
Pjöngjang und Moskau haben die Vorwürfe über Truppenaufmärsche zunächst dementiert, jedoch später erklärt, dass ihre militärische Zusammenarbeit im Einklang mit dem Völkerrecht stehe - ohne die Präsenz nordkoreanischer Streitkräfte in Russland direkt einzugestehen. Nordkorea wird auch beschuldigt, Artilleriegranaten und andere militärische Ausrüstung an Russland geliefert zu haben. Die USA und ihre Partner sehen darin einen Verstoß gegen UN-Resolutionen.
"Die illegalen militärischen Absprachen zwischen Russland und Nordkorea stellen eine erhebliche Sicherheitsbedrohung für die internationale Gemeinschaft dar und sind eine ernste Angelegenheit, die unserer Sicherheit schaden könnte", sagte der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol am Dienstag in einer Kabinettssitzung. Man müsse alle Möglichkeiten prüfen und Gegenmaßnahmen vorbereiten.