Freiheitsrechte Kritische Richter und Staatsanwälte warnen: "Es ist ein kollektiver Wahn"

Franz Becchi

29.11.2025 , 22:35 Uhr

Ist Deutschland auf dem Weg zum Überwachungsstaat? Und was sind "Ideologiemaschinen"? Einblicke aus dem Krista Symposium in Halle (Saale).

Ein Redner beim 4. Symposiums des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte. BLZ

"Der gläserne Mensch, gefangen im Netz" - das Lied von Udo Jürgens erklingt im Sprechsaal des Volksparks Halle (Saale). Im Hintergrund ein Bild einer anonymen Figur, die in einem digitalen Raum gefangen zu sein scheint.

Es ist die Eröffnung des 4. Symposiums des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA), das am Sonnabend stattfand. Rund 300 Besucher aus ganz Deutschland sind angereist, um mehr über das Thema des Symposiums "Vom Freiheits- zum Überwachungsstaat?" zu erfahren.

Sind Freiheitsrechte in Deutschland bedroht?

Bereits zu Beginn wird klar: Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland bergen laut den Rednern das Potenzial, Freiheitsrechte einzuschränken oder gar zu zerstören.

Das Netzwerk Krista wurde im Januar 2021 gegründet - mitten in der Corona-Zeit, als die Impfkampagne der Regierung an Fahrt aufnahm. "Krista entstand aufgrund der politischen Reaktionen auf die Pandemie", erklärt Mitgründer Richard Haakh in seiner Einleitung. Die Gäste, die sich im Saal niederlassen, genießen ihren Tee, während die erste Kerze im Adventskalender brennt. Der Duft von Zimt liegt in der Luft, und Weihnachten scheint näher als je zuvor.

Rechtswissenschaftler Jörg Benedict von der Universität Rostock ergreift das Wort: "Eine gute Justiz braucht kritische Richter und Anwälte", sagt er. Applaus brandet auf. Zwischen Zitaten von Kant, Radbruch, Habermas und sogar Dante Alighieri erklärt Benedict das Problem des Rechtspositivismus: "Das Recht verliert seine Gültigkeit, wenn seine Prämissen im Widerspruch zur Realität stehen." Auf der Leinwand erscheinen Videos aus der Coronazeit.

Der amerikanische Immunologe Anthony Fauci erzählte in der Zeit gerne von der "hohen Wirksamkeit" des Corona-Impfstoffs. Es folgen Screenshots von Schlagzeilen internationaler Medien, die anfangs eine Wirksamkeit von 100 Prozent verkündeten - nur um später zu berichten, dass die tatsächliche Wirksamkeit unter 50 Prozent gesunken sei. Schließlich wurde den Menschen geraten, sich regelmäßig boostern zu lassen. Das Publikum reagiert mit bitterem Lachen. Wie lässt sich eine Impfpflicht mit dem Recht vereinbaren, wenn die ursprünglichen Versprechungen zur Wirksamkeit des Impfstoffs nicht eingehalten wurden? Und Nebenwirkungen von Politik und "Experten" erst verneint und später nur unter Druck eingeräumt wurden?

Das Auditorium folgt der Diskussion aufmerksam. Zwischen den Applausrunden herrscht eine fast greifbare Stille. Was bedeutet "Freiheit" in diesem Kontext? Die Freiheit, eine solche Veranstaltung überhaupt organisieren zu können? Doch es gibt auch besorgte Gesichter im Publikum - einige Anwesende fürchten, dass ihre Gesichter gefilmt werden könnten. Eine Richterin sagt gegenüber der Berliner Zeitung: "Viele im juristischen Apparat denken nicht mehr kritisch und verurteilen. Es ist beunruhigend, wie sich dieses Phänomen schleichend etabliert hat." Ihren Namen möchte sie lieber nicht preisgeben.

Zwar wird die Corona-Krise und die bislang verpasste Aufarbeitung als zentrales Thema behandelt, doch die Veranstaltung kreist um weit größere Fragen: die Kontrolle der Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter, den Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI), Algorithmen und sozialen Medien auf die Meinungsbildung und einen Staat, der überwacht, ohne selbst überwacht zu werden.

Zwischen digital, Analog und Soziale Medien

"Es gibt keinen Grund, eine spezifische politische Idee zu priorisieren", erklärt Philosoph Harry Lehmann und erläutert sein Konzept der "Ideologiemaschinen". Lehmann zeigt auf, wie Ideologien durch verschiedene soziale und kulturelle Institutionen verbreitet und in der Gesellschaft verankert werden. Diese "Maschinen" umfassen Medien, Bildungseinrichtungen, politische Institutionen und wirtschaftliche Strukturen, die bestimmte Normen und Weltanschauungen vermitteln.

"Wie beeinflussen diese Ideologiemaschinen die Wahrnehmung der Realität?", fragt Lehmann. Diese Mechanismen würden durch politische Kommunikation die Gesellschaft ideologisch ordnen und stabilisieren dabei bestehende Machtverhältnisse. Besonders hervorhebt Lehmann, dass dieses Phänomen seit 2013 an Stärke gewonnen hat und zur Entstehung der "Cancel Culture" beigetragen hat. Er führt dies auf die Einführung des iPhones und die allgemeine Digitalisierung zurück - ein technologischer Wandel, der den Übergang von der analogen zur digitalen Zeit beschleunigte und somit diese Entwicklungen begünstigte.

Nach der Mittagspause, die mit Gulasch und Schnitzel in der nahegelegenen Gaststätte Felsenblick verbracht wird, geht das Symposium weiter. Politikwissenschaftler und Künstler Rudolph Bauer nutzt die Gelegenheit für eine kurze Verschnaufpause, zusammen mit seiner Frau Marianne Sörensen Bauer. Der 86-Jährige ist aus Bremen angereist. "Ich wurde wegen Volksverhetzung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole denunziert und angeklagt", erzählt er. Eine kritische Fotomontage, die Parallelen zwischen der aktuellen militärischen Aufrüstung und der NS-Zeit zog, hatte zu einer Hausdurchsuchung geführt, erzählt er: "Es ist ein Unrecht, dass die Meinungsfreiheit so eingeschränkt wird. Wir müssen sie verteidigen", fügt Sörensen Bauer hinzu.

"Digitalen Totalüberwachung"

Als die Pause endet, tritt der Rechtswissenschaftler Martin Schwab, Professor an der Universität Bielefeld, auf die Bühne. "Es gibt drei Punkte, die die freiheitliche Demokratie heute gefährden", sagt er. Die "digitale Totalüberwachung", die "Verfassungsschutz-relevante Delegitimierung des Staates" und die "Bekämpfung von Hasskriminalität".

Franz Becchi (li.), Reporter der Berliner Zeitung und Jörg Benedict, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock. BLZ

"Der gläserne Mensch ist kein würdiger Mensch", sagt Schwab und erklärt das Konzept des "predictive Reporting". Dabei geht es um die Idee, potenzielle Straftäter bereits vor der Tat zu identifizieren und zu bestrafen. "Das verletzt das grundlegende Prinzip der Unschuldsvermutung", erklärt Schwab und erntet zustimmenden Applaus. Zum Beispiel würde das EU-Gesetz der Chatkontrolle ein solches System durch die flächendeckende Verifizierung von privaten Nachrichten etablieren.

Der Staat würde zudem durch den Kampf gegen "Hasskriminalität" und "Desinformation" einen Vorwand finden, um gegen kritische Haltungen vorzugehen, warnt Schwab. "Kritik an der Regierung wird mit Hausdurchsuchungen beantwortet", fügt er hinzu, was erneut Applaus auslöst. Psychiater Hans Joachim Maaz übernimmt das Wort: "Wir befinden uns in einem kollektiven Wahn", erklärt er.

Maaz beschreibt die gesellschaftlichen Entwicklungen als Ausdruck eines tiefen "Gefühlsstaus". Seit der Kindheit werde den Menschen beigebracht, ihre negativen Gefühle wie Angst, Hass und Wut zu unterdrücken. Doch "wir können unsere Gefühle nicht dauerhaft unterdrücken", sagt er.

Die Folge sei ein "Gefühlsstau", die viele Menschen krank oder sogar "böse" mache. Wer seine Meinung frei äußert, müsse heute oft mit sozialen Konsequenzen rechnen. "Der Mensch wird so zum Objekt", warnt Maaz. Trotz der düsteren Analyse sieht Maaz auch ein positives Zeichen: "Solange es noch kritische Richter und Staatsanwälte gibt, ist noch nicht alles verloren."


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