FOCUS-online-Reporter Niklas Golitschek
Freitag, 16.08.2024, 06:28
Zum Jahrestag der Machtübernahme richten sich die Blicke einmal mehr auf das Taliban-Regime in Afghanistan, dessen Menschenrechtsverletzungen und insbesondere die Unterdrückung der Frauen; die leeren Versprechen der Bundesregierung, die Geflüchteten und die zurückgelassenen Ortskräfte.
Doch während Tausende auch drei Jahre nach dem Fall Kabuls noch darauf warten, in Deutschland einen sicheren Ort zu finden, reisen Flüchtlinge offenbar unerlaubt für Urlaube und Kurzbesuche zurück in das Krisengebiet. RTL berichtet über einen Trick mit sogenannten "Double-Entry"-Visa, welche die Einreise nach Afghanistan über den Iran ermöglichen sollen. Der Grenzübertritt werde nur auf einem losen Papier dokumentiert, das vor der Rückreise nach Deutschland entsorgt werde. Für die hiesigen Behörden sehe dann alles nach einem erlaubten Aufenthalt im Iran aus. Eigentlich dürfen Flüchtlinge nur in Ausnahmefällen in das Land reisen, aus dem sie geflohen sind. Wer gegen diese Auflage verstößt, riskiert seinen Flüchtlingsstatus und das Aufenthaltsrecht - wenn die Ausländerbehörde oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) davon erfahren.
Damit das nicht passiert, helfen in Hamburg laut RTL Reisebüros bei dem Trick. Der Steindamm scheint nach einem prädestinierten Ort dafür; auch wenn hier in zentraler Lage eine Polizeiwache liegt. Dutzende arabische und persische Restaurants und Supermärkte prägen die Kulisse. Ein "Hijab Center" wirbt für entsprechende Damenmoden. Ein anderer Laden, dessen Plakate "islamische Artikel" anpreisen, ist inzwischen geschlossen. Auch so manches dubioses Geschäft geht hier offensichtlich über die Bühne: Wer nur kurz an der Stralsunder Straße stehen bleibt, wird selbst am hellen Nachmittag schnell von jungen Prostituierten angesprochen.
Zwischen den Shops haben sich entlang des Steindamms mehrere Reisebüros angesiedelt. RTL fand hier Anbieter, die vor versteckter Kamera die "Double Entry"-Visa anboten und als sichere Methode für eine Reise nach Afghanistan mit dem blauen Reiseausweis für Flüchtlinge anpriesen. Im Gespräch mit FOCUS online zeigt sich ein Mitarbeiter, der auch im Fernsehbeitrag zu sehen ist, reserviert. Er müsse die Kunden eines stornierten Fluges umbuchen, sagt er zuerst. "Ich habe heute viel zu tun", wiegelt er bei einem späteren Versuch ab. Auffällig: Das Reisebüro wirbt bereits im Schaufenster mit Visa für den Iran, auf der Webseite sind Kontaktdaten für einen weiteren Standort in Kabul hinterlegt.
Auskunftsfreudiger zeigt sich der Mitarbeiter eines anderen Reisebüros. Im Eingangsbereich sitzen die Mitarbeiter an zwei Tischreihen, mit den Headsets telefonieren sie. Auf einem Tisch hat ein Mitarbeiter eine Afghanistan-Flagge aufgestellt; die der de-facto nicht mehr existenten Republik. Für Iran-Visa verweisen die Mitarbeiter an das Büro, das hinter einer Glastür liegt. Hier empfängt ein junger Mann freundlich an seinem Schreibtisch. In zwei Boxen liegen dutzende blaue und graue Pässe. Erstere sind anerkannten Flüchtlingen als Passersatz vorbehalten, Letztere erhalten Ausländer und Staatenlose. Nur vereinzelt finden sich die typisch roten Dokumente für deutsche Staatsbürger. Für sie alle besorge er das Iran-Visum, bestätigt der Mitarbeiter.
Doch Visa für Afghanistan biete das Reisebüro nicht an, betont der Mann. "Afghanistan hat keine Regierung", erläutert er angesichts der international nicht anerkannten Taliban-Herrschaft. Entsprechend fehlten ihm die Ansprechpartner im Land. Neben Single- und Transitvisa organisiere er auch die "Double-Entry"-Visa für Iran, wo sich die afghanischen Flüchtlinge mit ihren Familien treffen könnten. Rund 40 solcher Reisen bearbeite er wöchentlich in der Sommer-Reisezeit. Kostenpunkt: mindestens 500 Euro. Das "Double-Entry"-Visa sei sinnvoll, wenn Reisende etwa weiter in den Irak, nach Saudi-Arabien oder Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate wollten. Letztlich wisse er aber auch nicht, was die Reisenden im Iran machten.
Wäre damit nicht auch eine Reise nach Afghanistan möglich? Auch auf mehrfache Nachfrage schüttelt der Mitarbeiter vehement den Kopf und verneint: "Wallah, Afghanistan akzeptiert den Blauen Pass nicht!" Selbst wenn die Trickserei in Deutschland nicht auffallen würde, könnten die Flüchtlinge wegen der afghanischen Grenzkontrolle nicht in das Land.
Ein paar Ecken weiter in einem anderen Reisebüro hat ein Mitarbeiter ebenfalls eine Afghanistan-Flagge auf seinem Tisch postiert. "Double-Entry-Visa machen wir nicht", sagt auch er sofort. Für einen Deutschen könne er ganz normal einen Flug nach Kabul buchen, doch nicht mit einem blauen oder grauen Pass. Für Inhaber dieses Dokuments sei das iranische Double-Entry-Visum für eine Weiterreise nach Afghanistan genauso sinnlos, wie einen Flug in die USA zu buchen: "Es gibt kein dort keine Einreise."
Im Beitrag von RTL mit der versteckten Kamera klingt das noch ganz anders. "Viele meiner Freunde reisen regelmäßig", sagte ein Reisender am Hamburger Flughafen über die Masche. Der Mitarbeiter des eingangs erwähnten Reisebüros versucht, bei Sorgen zu beschwichtigen. "Machen wir, kein Problem", sagt er da über das Double-Entry-Visum. Die deutschen Behörden würden davon nichts mitbekommen und es gehe ganz einfach.