16.03.2025 - 18:19 Uhr
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Berlin. Durch den Kompromiss von Union, SPD und Grünen wächst der finanzielle Handlungsspielraum für die künftige Bundesregierung. Doch eine schwarz-rote Koalition könnte mit den neuen Kreditmöglichkeiten nicht nur Verteidigungsausgaben und Investitionen finanzieren, sondern auch Wahlgeschenke.
Eigentlich wollten die Grünen das Gegenteil erreichen. Mit den Änderungen, die sie in Verhandlungen mit Union und SPD durchgesetzt haben, ist ihnen das aber nur teilweise gelungen. Das zeigt ein Blick in den gemeinsamen Änderungsantrag der drei Fraktionen, der am Sonntag im Haushaltsausschuss beraten wurde.
Vor allem eine Änderung vergrößert den Spielraum. Ursprünglich wollten Union und SPD Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnehmen, wenn sie ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen.
Die Grünen haben durchgesetzt, den Sicherheitsbegriff zu erweitern. Nun dürfen auch "die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten" ausgenommen werden, wie es im gemeinsamen Antrag für die Grundgesetzänderung heißt. Letztere Formulierung beinhaltet die Ukrainehilfen.
"Eine noch weitere Fassung des Verteidigungsbegriffs beziehungsweise die Einberechnung weiterer Haushaltsposten könnte den Spielraum noch mal vergrößern", sagt Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Nach seinen Berechnungen, die dem Handelsblatt vorliegen, könnte der Spielraum durch die neue Definition allein im laufenden Jahr nun von neun auf 22 Milliarden Euro steigen.
Union und SPD könnten durch den Kompromiss mit den Grünen also zusätzliche Kredite in Höhe von 13 Milliarden Euro aufnehmen - unabhängig von der Schuldenbremse. "Wofür eine neue Bundesregierung den Spielraum nutzt, ist offen und ihr überlassen: Zwischen Mütterrente und Steuersenkungen ist alles drin", sagt Hentze.
Denkbar wäre, dass der erweiterte Sicherheitsbegriff noch stärker genutzt wird. So hat bereits eine Diskussion darüber begonnen, ob nicht auch die Milliarden für Bürgergeldzahlungen an Geflüchtete aus der Ukraine darunterfallen. Ohne Krieg gäbe es keine Geflüchteten aus der Ukraine, argumentiert Ökonom Jens Südekum. Von daher sei es "nachvollziehbar, dies mit einzubeziehen".
Aus Sicht von Kritikern wäre einer massiven Verschuldung damit Tür und Tor geöffnet. "Die Schuldenbremse erfährt mit den Beschlüssen eine Beerdigung zweiter Klasse. Sie wird durch die Änderungen im Grundgesetz bestehen bleiben, aber nahezu wirkungslos sein", sagt FDP-Politiker Otto Fricke.
Ob der vergrößerte Schuldenspielraum auch dazu führt, dass die Koalition mehr Mittel für ihre Wunschprojekte fernab von Verteidigung und Investitionen nutzen kann, ist umstritten. Bei den Grünen verweist man vor allem auf eine zweite Änderung, die sie durchgesetzt haben. So darf die Regierung das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen nur nutzen, wenn im Bundeshaushalt mindestens zehn Prozent der Mittel in Investitionen fließen. Das entspricht in etwa der Quote aus dem vergangenen Jahr, wenn man einige Sondereffekte herausrechnet.
Deshalb werde die schwarz-rote Koalition zumindest 2025 keinen zusätzlichen Spielraum haben, schließlich müsse sie noch ein Haushaltsloch von rund 20 Milliarden Euro stopfen, heißt es bei den Grünen.
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Der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer gibt zu, dass das mit Union und SPD vereinbarte Paket "viel Licht und viel Schatten" habe. Es enthalte substanzielle Fortschritte beim Klimaschutz. Zudem habe man den großen Verschiebebahnhof beim Sondervermögen mit der "Zusätzlichkeit" - also der Vorgabe, dass zehn Prozent der Haushaltsmittel in Investitionen fließen müssen - erfolgreich verhindert.
Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs sei in der Sache zwar richtig, "führt jetzt aber dazu, dass mehr Spielräume entstehen für Union und SPD bei der Neuverschuldung", so Schäfer. Man werde darauf achten müssen, wofür Union und SPD das Geld nutzen. Für den Grünen-Politiker steht fest: "Zur Euphorie gibt es deshalb keinen Grund."
Diesem Urteil schließen sich Ökonomen an. "Positiv ist, dass 'Zusätzlichkeit' betont wird", sagt auch Ifo-Präsident Clemens Fuest. Ob das etwas wert sei, hänge davon ab, ob der Begriff der Investitionen sinnvoll eingegrenzt werde. "Die Gefahr einer Zweckentfremdung der Kreditmittel wurde nicht gebannt, aber reduziert", sagt Fuest. So sieht es auch Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW): "Die Gefahr eines Verschiebebahnhofs von geplanten Investitionen aus dem Haushalt in das Sondervermögen ist nur teilweise gebannt", sagte er dem Handelsblatt.
Haushaltsexperten der FDP gehen noch einen Schritt weiter. Sie haben am Wochenende ein Papier mit Berechnungen zu den Auswirkungen erstellt. Darin verweisen sie darauf, dass im Finanzplan ohnehin Investitionen über zehn Prozent vorgesehen waren. Somit ergibt sich aus ihrer Sicht auch hier ein neuer Spielraum, weil Investitionen aus dem Etat doch teilweise mit dem Sondervermögen finanziert werden könnten.
Bei einer zwölfjährigen Laufzeit des Infrastruktur-Sondervermögens ergebe sich durch die Ein-Prozent-Regelung für Sicherheitsausgaben und die Zehn-Prozent-Regelung für Investitionen insgesamt "eine Verfügungsmasse im Kernhaushalt für andere, auch konsumtive Ausgaben von knapp 270 Milliarden Euro", heißt es im Papier.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr übt deshalb scharfe Kritik: "Wenn man sich die Pläne rund um das gigantische Schuldenpaket einmal genauer anschaut, wird recht schnell deutlich: Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit war nur ein Feigenblatt, damit Geld für linke Wirtschaftspolitik ausgegeben werden kann."
Klar ist: Der Verschuldungsspielraum für den Staat wird durch die Grundgesetzänderungen viel größer. Schließlich sollen sich auch die Bundesländer künftig verschulden dürfen. Bei vollständiger Nutzung des Infrastruktur-Sondervermögens, dauerhaft drei Prozent Verteidigungsausgaben und unter Berücksichtigung des neuen Schuldenspielraums für Bundesländer liege der Schuldenstand in zehn Jahren nominal um rund 1,7 Billionen Euro höher als ohne diese Änderungen, sagt IW-Forscher Hentze.
Jens Hogrefe, Finanzwissenschaftler am IfW, kommt auf ähnliche Dimensionen. "Über die kommenden Jahre ist nun gesamtstaatlich ein strukturelles Defizit von 3,5 bis vier Prozent angelegt", sagt er. 2024 waren es etwa zwei Prozent. "Wie wir von dem Ast wieder runterkommen, bleibt unklar." Im Zweifel seien die europäischen Schuldenregeln nun merklich bindender als die deutschen.