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Professor Dr. Dr. h.c. Jochen Zimmermann - Universität Bremen
Jochen Zimmermann ist Professor an der Universität Bremen und hat dort den Lehrstuhl für Allgemeine BWL, Unternehmensrechnung und Controlling inne.
Stand: 10.12.2025 Lesedauer: 5 Minuten
Quelle: Efrem Lukatsky/AP/dpa
Euroclear ist ein Name, den außerhalb der Finanzwelt kaum jemand kennt. Über dieses private Unternehmen wickelt ein großer Teil der Welt seine finanziellen Verpflichtungen ab. Dabei wechseln Vermögenswerte den Eigentümer, aber nicht den Ort. Sie bleiben bei Euroclear in Brüssel. Nun erscheint dieser Name in politischen Stellungnahmen, Regierungserklärungen und Gipfelkommuniqués. Es ist das Symptom eines politischen Kurses, der die Fundamente unserer Eigentumsordnung gefährdet. Und einer der sichtbaren Treiber dieses Kurses ist ausgerechnet ein deutscher Bundeskanzler, der sich gerne als Träger ordnungspolitischer Vernunft inszeniert: Friedrich Merz. Erst letzte Woche hat er, zusammen mit Ursula von der Leyen, in Belgien vorgesprochen.
Was hier gerade geschieht, ist ordnungspolitisch fragwürdig und für die Realwirtschaft folgenreich. Es ist der Versuch, eine außenpolitische Zwangsmaßnahme - das Einfrieren russischer Zentralbankguthaben - in ein Finanzierungsinstrument der EU zu verwandeln. Dieser Schritt fügt sich nahtlos ein in eine deutsche Finanzpolitik, die längst die Schwelle zur strukturellen Selbstschädigung überschritten hat.
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Artikeltyp: Meinung Ukraine-Konflikt:
Was mit den eingefrorenen russischen Geldern passieren muss
Das Einfrieren der russischen Guthaben zu Beginn des Ukrainekriegs war rechtlich belastbar. Dieser nicht unübliche außenpolitische Eingriff hebt Verfügungsrechte auf, ohne Eigentum anzugreifen. Doch der finanzielle Druck auf die EU und die klammen Kassen der Mitgliedstaaten haben die Bürokratie kreativ werden lassen. Zunächst griff man auf die Zinsgewinne zu, die Euroclear aus der Verwahrung der russischen Vermögenswerte erzielte. Diese gehören zunächst dem Verwahrer. Er ist Eigentümer der Zinserträge; Belgien besteuerte sie in der Folge als normale Unternehmensgewinne. Doch weil der politische Finanzbedarf größer war als der Mut zur politischen Transparenz, erfand die EU eine Sonderabgabe. Sie sieht formal allgemein aus, zielt aber tatsächlich auf eine einzige Institution: das Unternehmen Euroclear in Brüssel.
Mit der immer größeren finanziellen Not folgt nun die nächste brisante Idee: Die blockierten Guthaben sollen verpfändet werden, um Kredite für die Ukraine abzusichern. Ökonomisch bedeutsame Pfänder aber wandern selten zurück. Sie bleiben dort, wo der Schuldner steht - und die Ukraine steht finanziell mindestens am Rand der Belastbarkeit. Hier gilt die alte Regel, die sich durch keine politische Rhetorik entkräften lässt: Wer bürgt, wird erwürgt. Ein Pfand an einen insolvenzgefährdeten Schuldner ist ökonomisch kein Pfand mehr, sondern ein Verlust, die nur noch nicht verbucht wurde.
Dass Friedrich Merz diese Entwicklung nicht nur begleitet, sondern vorantreibt, ist erschreckend. Er steht an der Spitze einer Regierung, die ihre eigenen Haushalte mit kreditfinanzierten Sondervermögen, sozialpolitischen Dauerlasten und buchhalterischen Kunstgriffen überlastet - und jetzt bereit ist, auf europäischer Ebene dasselbe Muster fortzusetzen.
Mit dieser Entwicklung rückt ein Zusammenhang in den Blick, der von jeder wirtschaftswissenschaftlichen Denkschule geteilt wird. Rechtsordnung und Eigentumsschutz sind Produktionsmittel. Jede Investition ist ein Vorschuss auf die Zukunft; sie findet nur dort statt, wo die rechtlichen Rahmenbedingungen verlässlich sind. Eigentumsrechte schützen nicht nur Vermögen, sondern machen wirtschaftliche Planung überhaupt erst möglich. Wo fremdes Eigentum politisch verfügbar wird, verliert Wachstum an Dynamik. Das ist eine seit Jahrzehnten empirisch bestätigte Grundregel: Wohlstand entsteht dort, wo Rechtssicherheit besteht, und er schwindet dort, wo sich diese Sicherheit auflöst. Eine Politik, die Eigentum in Ausnahmesituationen zur Verfügungsmasse macht, beschädigt genau jene Basis, die sie im täglichen Betrieb und für weiteres Wachstum dringend braucht. Kein Infrastruktur-"Sondervermögen" könnte das heilen - schon weil niemand in einem solchen Rahmen mehr freiwillig Geld zur Verfügung stellen würde.
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Die Gefahr der von Deutschland und der EU vorangetriebenen Idee liegt also nicht in einem einmaligen Buchungstrick. Sie liegt in der Botschaft, die von ihm ausgeht: Eigentum ist in Europa nicht mehr neutral und nicht mehr sicher vor Erwägungen politischer Zweckmäßigkeit. Wo Politik beginnt, das Eigentum Dritter für eigene Finanzierungszwecke verfügbar zu machen, sinkt die Investitionsbereitschaft, erst langsam, dann rapide. Kapital wandert nicht aus moralischen Gründen, sondern aus Gründen von Rendite und vor allem Sicherheit. Staaten, Unternehmen und private Anleger investieren ihre Mittel dort, wo Verträge gelten und Vermögen nicht zum Instrument politischer Bedürftigkeit wird.