Von Rüdiger Soldt , Stuttgart
Politischer Korrespondent in Baden-Württemberg.
06.05.2025, 19:04 Lesezeit: 4 Min.
Der württembergische König baute die Tunnel für die Schwarzwaldbahn in vier Jahren. Über die Ertüchtigung der 1988 stillgelegten Strecke von Calw bis Weil der Stadt unter dem neuen Namen Hermann-Hesse-Bahn wird seit 25 Jahren debattiert, seit zehn Jahren wird sie geplant und seit fünf Jahren gebaut. Das Projekt ist ein Beispiel dafür, warum in Deutschland eine überbordende Bürokratie Politiker frustriert und Bürger wütend macht.
Helmut Riegger, erfahrener Kommunalpolitiker und seit 2009 Landrat für den Kreis Calw im Nordschwarzwald, gründete eigens zur Wiederinbetriebnahme der Strecke einen Zweckverband. In Deutschland werden im Jahr 2025 71 Kilometer neue Bahngleise verlegt - 23 Kilometer misst die Hermann-Hesse-Bahn, die streng genommen eine S-Bahn-Verlängerung ist, mit der die Geburtsstadt des Dichters Hermann Hesse an den Großraum Stuttgart angebunden wird.
Das Problem ist nur, die Hürden für den Bau der Strecke waren hoch, und pünktlich fertig wird sie auch nicht. "Früher haben die Leute geklatscht, wenn ich kam und etwas vom Projekt Hesse-Bahn erzählt habe", sagt Riegger. "Heute lachen die Leute mich aus, weil die Züge immer noch nicht fahren." Die Strecke ist eigentlich betriebsfertig, nur die bedrohten Fledermausarten blockieren die endgültige Reaktivierung der alten Strecke.
Riegger kann im Schlaf aufzählen, was der Landkreis und der Zweckverband schon geleistet haben und welche Felsbrocken sie aus dem Weg räumen mussten, damit das Projekt überhaupt möglich wurde: Für schätzungsweise 1100 Fledermäuse mussten 1000 Nistkästen sowie drei große Ersatzquartiere gebaut werden, die jeweils so viel kosteten wie ein Einfamilienhaus in der Region Stuttgart. "Wir bewegen uns in einem Mikrokosmos, wir mussten die Nistkästen aufhängen, obwohl die Fledermäuse da gar nicht reingehen." Einige der Nistkästen mussten auch in Kirchen aufgehängt werden, so etwas wird in Deutschland vertraglich geregelt. So schloss der Zweckverband mit einer Kirchengemeinde einen Vertrag über 25 Jahre, um die Aufbewahrung der Nistkästen zu regeln.
Dem Regierungspräsidium in Karlsruhe, dort sitzt die Höhere Naturschutzbehörde, reichte das nicht. Die dortigen Juristen verlangten einen notariell beurkundeten Vertrag: Denn falls die Kirche innerhalb der nächsten 25 Jahre verkauft werden solle, so die Beamten des Regierungspräsidiums, müsse für die Fledermäuse in dem Nistkasten Rechtssicherheit hergestellt werden. "In Baden-Württemberg", sagt Riegger, "werden allerdings selten Kirchen verkauft." Im Landratsamt hält man einen Vertrag für ausreichend. Inzwischen reden Rieggers Kollegen schon von den "Taliban-Juristen" im Regierungspräsidium.
dpa
Das größte Problem, das nun dem Abschluss der Bauarbeiten im Wege steht, sind zwei Bestandstunnel, die als Fledermaus-Habitat ausgewiesen sind. Die Tunnel dürfen zwar für die Züge der Hesse-Bahn genutzt werden, aber nur wenn hierdurch die Fledermäuse nicht vertrieben werden. Also ließen sich die Ingenieure etwas Besonderes einfallen: Eine Trennwand aus teurem Stahlbeton soll die Fledermäuse vorm Zugverkehr schützen. Damit die Fledermäuse in den richtigen Tunnel fliegen, werden am Tunneleingang Locksignaltöne erzeugt, auf die aber nicht alle Fledermausarten gleichermaßen reagieren. Diese Trennwände müssen noch gebaut werden, sie verzögern das Projekt, das, eigentlich überflüssig zu erwähnen, selbstredend schon 2018 fertig sein sollte.
Aus Sicht des Landratsamtes handelt es sich beim Einbau der Trennwände in die Tunnel um eine Baumaßnahme in einem Bestandsgebäude; das Regierungspräsidium sieht es anders und verlangt für die Trennwände ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren. Der Streit zwischen dem Landratsamt in Calw und dem Regierungspräsidium in Karlsruhe wurde am Ende an teure Gutachter delegiert - auch das kommt häufig vor in Deutschland.
Weil für die Trennwände derzeit nur eine vorläufige Baugenehmigung vorliegt, geht es mal wieder schleppend voran mit der Hermann-Hesse-Bahn. "Wir haben eine vorläufige Baugenehmigung beantragt, weil wir ja aus Gründen des Artenschutzes nur zwischen Mai und September bauen können. Weil diese Genehmigung so spät kam, müssen wir nun im Dreischichtbetrieb die Trennwandkonstruktion bauen, sonst verschiebt sich die Baumaßnahme abermals", sagt Riegger.
Der Landrat hätte fast die Bauarbeiter ohne Baugenehmigung auf die Baustelle geschickt, das wäre ihm lieber gewesen, als den Bürgern und Bürgerinnen ständig erklären zu müssen, warum die Hesse-Bahn immer noch auf dem Abstellgleis steht. "Die Bürokratie ist der größte Hemmschuh, den wir haben, und ein Brandbeschleuniger für die AfD. Ich stehe da als ein Landrat, der alles verhindert." Jeden Tag, den er in Calw im Landratsamt am Schreibtisch sitze, habe er zwei Vorgänge auf dem Tisch, die bürokratisch und völlig absurd seien. Wenn etwa ein Fensterbauer in einer Wohnsiedlung von einem Tieflader Fenster nur abladen wolle, dann müsse er sich das fünf bis sechs Wochen vorher genehmigen lassen.
Über die Kosten des bürokratischen Wahnsinns hat Riegger noch gar nicht gesprochen. Die Hermann-Hesse-Bahn kostet insgesamt 180 Millionen Euro, 75 Prozent zahlt die grün-schwarze Landesregierung, weil die Reaktivierung der Bahnstrecke Pilotmodell für die Wiederinbetriebnahme anderer Strecken ist. Von den 180 Millionen Euro werden 80 Millionen Euro allein für den Artenschutz aufgewendet, weitere, zusätzliche 25 Millionen Euro kosten die Gutachten.
Mit seiner Kritik an den Zuständen ist der CDU-Politiker nicht allein. Kürzlich fragte der Amtschef aus dem von dem grünen Minister Winfried Hermann geführten Landesverkehrsministerium im Landratsamt nach, warum es denn nun wieder nicht vorangehe.