Andrea Nahles hat das Kümmer-Gen. Im Frühjahr entdeckte die Bundesarbeitsministerin die Gefahr, die von Paternostern ausging. Mit der "Verordnung zur Neuregelung der Anforderungen an den Arbeitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln und Gefahrenstoffen" verbot sie kurzerhand die Benutzung der türlosen Kettenaufzüge im öffentlichen Raum. In Firmen durften demnach nur noch Mitarbeiter in die Kabinen einsteigen. Und selbst die nur nach Einweisung. "Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Personenumlaufaufzüge nur von durch ihn eingewiesenen Beschäftigten verwendet werden", hieß es wörtlich in der neuen Verordnung. Bei Verstößen drohte ein Bußgeld. Zu groß sei die Gefahr von Unfällen.Bei den meisten anderen Regulierungen aus dem Jahr 2015 lief es anders. Mehr noch als sonst war die große Politik mit Großproblemen beschäftigt, in der ersten Jahreshälfte mit der Griechenland-Krise, in der zweiten mit dem Ansturm von Flüchtlingen. Das aber hat den Gesetzgeber nicht daran gehindert, weiter neue Vorschriften zu ersinnen und fleißig Beschlüsse zu fassen, die den Steuerzahler noch richtig teuer zu stehen kommen. Für sich genommen ist das nicht neu oder verwunderlich. Nur rutschte im zurückliegenden Jahr noch viel mehr unter das Radar der Öffentlichkeit als sonst schon.
Bei manchen Entscheidungen kann man sogar den Eindruck haben: Die Politik war ganz froh, dass Griechenland und die Flüchtlinge die Aufmerksamkeit der politisch interessierten Klasse weitgehend absorbierten. Höchste Zeit deshalb, zum Jahresende ein paar ausgewählte Neuerungen aus den zurückliegenden zwölf Monaten vorzustellen.
Das sei ein "geeignetes Instrument, da vergleichsweise kurzfristig Kostenentlastungen für Schiffe unter deutscher Flagge geschaffen werden", heißt es in der Gesetzesbegründung. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) brachte das Regelwerk über eine Bundesratsinitiative ein. Der Sozialdemokrat will damit die maladen, unter Preisverfall leidenden Schifffahrtsunternehmen päppeln. Die Bundesregierung macht mit, ihr ist die Sache aber offenbar peinlich. Ohne Debatte und damit geräuschlos wollte sie das Gesetz durch den Bundestag schleusen. Nur die Opposition spielte nicht so recht mit. Das Gesetz wurde in der Sitzung am 3. Dezember nicht debattiert, aber die Debattenbeiträge wurden wenigstens zu Protokoll gegeben. Im Januar findet noch eine Anhörung statt.
Alles klar?
So weit, so gut. Nur muss der Medikationsplan laut E-Health-Gesetz auf Papier erstellt werden. Damit er dennoch elektronisch lesbar ist, soll er einen QR-Code erhalten. "Keine elegante Lösung, aber eine schnelle Einlesehilfe", nennt das Amin-Farid Aly von der Koordinierungsgruppe Aktionsplan AMTS bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Der Chef eines großen Klinikbetreibers findet dafür andere Worte: "Wie ein Falk-Stadtplan muss der Medikationsplan künftig korrekt gefaltet werden, damit der QR-Code auf Dauer nicht kaputtgeht", sagt er. "So sieht E-Health nur in Deutschland aus."
Dank der "Verordnung über die Berufsausbildung zum Automatenfachmann und zur Automatenfachfrau (Automatenfachmannausbildungsverordnung - AutomAusbV)" vom 1. Juli 2015 sind jetzt die ersten zwei Jahre in beiden noch relativ neuen Ausbildungsberufen vereinheitlicht. Betroffen sind nicht wirklich viele Menschen. Bundesweit wurden 2014 genau 75 junge Frauen und Männer von Staats wegen zur geprüften Fachkraft für Automatenservice befördert - und 66 weitere zum Automatenfachmann. Oder zur staatlich geprüften Automatenfachfrau.
Selbst auf noch kleinere Verästelungen des weitverzweigten Berufsausbildungssystems hatte der Gesetzgeber 2015 ein Auge. So legt die "Erste Verordnung zur Änderung der Zupfinstrumentenmacherausbildungsverordnung" ebenfalls zum 1. Juli endlich fest: "Die Berufsausbildung ist auch für den Bau von Zupfinstrumenten, die weder Gitarren noch Harfen sind, möglich." Die bundesweit nicht einmal zwei Dutzend jungen Männer und Frauen, die zu diesem Zeitpunkt die Ausbildung durchliefen, werden aufgeatmet haben ob dieser Klarstellung.
Im Juni dieses Jahres fand der Beirat einen Kompromiss: Die Bürgerinitiativen bekamen weitgehend, was sie wollten, Offenburg soll einen Tunnel für Güterzüge erhalten, an anderer Stelle soll die neue "Rheintalbahn" nicht, wie zuvor geplant, entlang der bisherigen Trasse verlaufen, sondern neben einer Autobahn - womit abermals Bürger betroffen sind, nur halt andere als die, die bisher protestierten.
Der ursprüngliche Plan hat die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, er hat die vorgeschriebenen Lärm- und Umweltstandards eingehalten - und auch die Maßgabe der Haushaltsordnung, dass unter den Projekten, die den Standards gerecht werden, das kostengünstigste zu wählen ist. Das ist nun natürlich nicht mehr der Fall. Die Trassenführung, die der Projektbeirat beschlossen hat, verursacht für den Steuerzahler Zusatzkosten in Milliardenhöhe. 280 Millionen Euro soll das Land Baden-Württemberg tragen, gut 1,5 Milliarden der Bund. Damit wird das Projekt am Ende gut doppelt so teuer wie ursprünglich veranschlagt. Union und SPD wollen es dennoch durchwinken.
Was das in der Praxis hieße, lässt sich leicht ausmalen: Die übliche, formalisierte Planung von Bahnprojekten wird ausgehebelt und in entscheidenden Teilen ins Hinterzimmer verlagert. Die Kosten werden so noch häufiger durch die Decke schießen als bei Infrastrukturprojekten in Deutschland ohnehin schon üblich.
Dennoch hätten CDU und CSU die Neuregelung dem Vernehmen nach mitgemacht. Erst als fast buchstäblich in letzter Minute auch noch konkrete Festlegungen für weitere Trassenprojekte in den zweiten Antrag aufgenommen werden sollten, blockierte die Union.
Die Fortsetzung folgt bald nach Silvester. Bis Mitte Januar, vermeldet die CDU, soll ein Kompromiss stehen.
25.12.2015 | 20:20 Uhr Jan Dams, Olaf Gersemann, Martin Greive, Die Welt, N24
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