Von Frederik Schindler Politikredakteur
Stand: 30.09.2025 Lesedauer: 7 Minuten
Quelle: epd-bild / Michael Schick
WELT: Frau Schröter, das von Ihnen geleitete Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird mit dem Ende Ihrer Forschungsprofessur zum 1. Oktober aufgelöst. Warum?
Susanne Schröter: Wir haben uns mit extremistischen Varianten des Islam beschäftigt. Und wir haben mit den liberalen Muslimen und Islamismus-Kritikern aus muslimischen Communitys zusammengearbeitet. Doch leider ist die postkoloniale Theorie, nach der Islamismus als legitimer Widerstand gegen den Westen gilt, in den Geisteswissenschaften hegemonial. Wer das anders sieht, macht sich des Rassismus verdächtig. Als Nachfolge auf meine Professur war niemand mit Islam-Expertise gewollt. Berufen wurde eine woke Mexiko-Expertin. Gegen mich liefen Mobbing-Kampagnen.
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WELT: Was kann man sich darunter vorstellen?
Schröter: Es gab eine ganze Reihe von offenen Briefen gegen mich, sogar aus dem Institut für Ethnologie, dem ich angehöre. Ich hätte alle schwer verletzt - der typisch woke Sprachgebrauch. Die Universitätsleitung hat den Brief auf die Homepage gestellt. Ich wurde als antimuslimische Rassistin stigmatisiert. Studenteninitiativen forderten, dass meine Bücher nie wieder Gegenstand von Lehre sein dürften. Das war wirklich schrill.
WELT: Was bedeutet das Ende des Forschungszentrums für eine kritische Islam-Forschung an deutschen Universitäten?
Schröter: Eine kritische Islam-Forschung findet nicht mehr statt, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Man möchte lediglich das Positive, nämlich Teilhabe und Vielfalt, herausstellen oder der Gesellschaft die Verantwortung für misslungene Integration zuweisen. Da passt Kritik nicht.
WELT: Würden Sie heute jungen Wissenschaftlern raten, aus einer kritischen Perspektive über Islamismus zu forschen?
Schröter: Das würde ich nicht, weil es keine Karriereoptionen gibt. Bei vakanten Professuren werden sie erst gar nicht zum Bewerbungsverfahren eingeladen. Man ist draußen, ohne dass irgendjemand das begründen müsste. Gewalt im Namen der Ehre ist, zum Beispiel, ein Thema, das ultimativ jeden Karriereweg beendet. Immer weniger trauen sich daher, das Tabuthema Islamismus anzufassen.
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WELT: Sie haben zu liberalen, konservativen, fundamentalistischen und extremistischen Ansätzen des Islam geforscht. Welche Spielarten sind in Deutschland vorherrschend?
Schröter: Im organisierten Islam sind nur wenige liberale Ansätze vorhanden, was aber auch daran liegt, dass sich liberale Muslime in der Regel nicht organisieren und auch nicht dezidiert in der Öffentlichkeit zur Religion positionieren. Wer seine persönliche Beziehung zu Gott hat, betet und vielleicht auch mal in eine Moschee geht, organisiert sich vielleicht in einer Gewerkschaft oder in einem Elternverein, macht aber keine religiöse Gruppe auf. Im organisierten Islam haben wir eher die Fundamentalisten, für die die Religion alles ist.
WELT: Organisierte liberale Muslime wie die Berliner Imamin und Frauenrechtlerin Seyran Ates leben außerdem aufgrund der Drohungen von Islamisten gefährlich.
Schröter: So ist es. Wer möchte unentwegt von Sicherheitsbeamten des Landeskriminalamts begleitet werden? Das tun sich viele nicht an. Hinzu kommt, dass sie aus ihren Familien ausgeschlossen werden. Viele trauen sich gar nicht, öffentlich mit ihrer Position sichtbar zu werden. In Umfragen zeigt sich, dass etwa die Hälfte der Muslime einen säkularen Standpunkt hat. Aber die andere Hälfte hat eben teilweise fundamentalistische Einstellungen oder solche, die wenig mit unserer demokratischen Grundordnung zu tun haben.
WELT: Also Einstellungen, die frauenfeindlich, schwulenfeindlich oder antisemitisch sind?
Schröter: Genau. Oder etwa auch ein deutlich ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl gegenüber Nichtmuslimen.
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WELT: Legalistische Islamisten handeln im Rahmen der Rechtsordnung und haben das Ziel, Teile der Gesellschaft zu islamisieren. Wie erfolgreich sind sie dabei?
Schröter: Die Muslimbrüder haben beispielsweise schon vor vielen Jahren den Westen als Missionsziel entdeckt. Sie wollen Einfluss auf die Muslime nehmen und Überzeugungsarbeit für den "wahren Islam" leisten. Im zweiten Schritt geht es darum, ein Ressentiment gegenüber der Mehrheitsbevölkerung und allen Muslimen, die das anders sehen, aufzubauen. Ziel der Islamisten ist die Segregation muslimischer Communitys. Das ist in vielen Städten bereits sichtbar. Parallel versuchen Islamisten, Kontakte zu Politikern, Kirchen, Verwaltungen und NGOs zu knüpfen, dabei die Muslime als Opfer einer strukturell rassistischen Gesellschaft darzustellen und Kritik zu delegitimieren.
WELT: Das funktioniert gut.
Schröter: Da sind die Islamisten wahnsinnig erfolgreich. Auf der phänomenologischen Ebene sehen wir: Hier gibt es eine Geschlechtertrennung bei Veranstaltungen an einer Universität, dort bietet ein Versandhandel eine Ganzkörperverschleierung für kleine Mädchen an. Gegenwehr wird sofort skandalisiert. Und dann geht man wieder einen Schritt weiter. Das sind die kleinen Schritte der Islamisierung. Und im Inneren der muslimischen Communitys wächst die Repression.
WELT: Das sieht man auch an einigen Schulen, an denen säkulare Schülerinnen aus muslimischen Familien teilweise unter Druck gesetzt werden, ein Kopftuch zu tragen. Jugendliche werden immer wieder angehalten, sich an Fasten- und Speiseregeln zu halten.
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Schröter: Lehrer berichten mir von Schülern, die in den Schultoiletten kontrollieren, ob muslimische Schüler während des Ramadans heimlich Wasser trinken. Vor allem die Repression gegen Mädchen, die sich nicht nach solchen Normen richten, ist ganz enorm.
WELT: Studien zeigen, dass die AfD bei Wählern zum Thema Kampf gegen Islamismus am besten abschneidet. Was schließen Sie daraus?
Schröter: Man hat das Thema ignoriert und blendet die Opfer des Islamismus systematisch aus. Die linken Parteien haben Islamisten zur vulnerablen Gruppe stilisiert und linke Ideale dadurch völlig eingestampft. Wie kann man das Leiden muslimischer Kinder und Frauen oder Apostaten völlig aus den Augen verlieren? Das konservative Milieu hat sich ebenfalls sehr bedeckt gehalten, auch aus Angst um Wählerstimmen. Davon hat die AfD profitiert. Aber man darf sich natürlich nicht täuschen. Aus den Reihen der AfD wird mittlerweile der türkische Präsident Erdogan gelobt und klar um die Stimmen erzkonservativer Muslime geworben, weil zu Recht ein ähnliches antiliberales Weltbild vermutet wird.
WELT: Sie äußern sich in Ihren Büchern oder auf X immer wieder polemisch und verallgemeinernd. Betreiben Sie damit nicht selbst eine Vermischung von Wissenschaft und Aktivismus, die Sie immer wieder anderen Forschern vorwerfen?
Schröter: Ich werfe niemandem vor, eine politische Meinung zu haben, und habe nichts dagegen, in einem wissenschaftlichen Gespräch Argumente auszutauschen - gerne auch zugespitzt. Aber ich habe erheblich etwas dagegen, wenn man aus einer aktivistischen Haltung heraus nur noch die eigenen Argumente repräsentiert sehen will und dafür sorgt, dass Andere aus Debatten ausgeschlossen werden.
WELT: Im April dieses Jahres behaupteten Sie, es gäbe in Deutschland einen "woke-islamistischen Deep State". Das klingt nicht nach seriöser Wissenschaft, sondern nach einer Verschwörungstheorie.
Schröter: Das war natürlich eine Zuspitzung. Ich meine damit keine mafiöse Struktur oder gar eine Verschwörung geheimer Mächte. Es geht um Netzwerke, die tatsächlich existieren und sich bei bestimmten Themen schnell zusammenschließen. Ein Beispiel ist der Berliner Verein für Demokratie und Vielfalt, der eine Beratungsstelle für Betroffene von religiösem Mobbing eröffnen wollte. Im Nu formierte sich eine Phalanx aus Wissenschaft, NGOs, Politikern und ultraorthodoxen Islamverbänden, die das Projekt verhinderten.
WELT: In Ihrem letzten Buch behaupten Sie, "woke Ideologien" hätten "alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens" infiltriert und sich "bis in die CDU hinein durchgesetzt". Das ist doch übertrieben.
Schröter: Tatsächlich nicht. Woke Ideen wirken nicht nur in der Wissenschaft, sondern in allen Kultur- und Bildungseinrichtungen bis in die Bundeszentrale für politische Bildung hinein. Selbst Wirtschaftsunternehmen haben fragwürdige Diversity-Regularien übernommen. Und kaum eine NGO ist nicht woke-links.
WELT: Es hindert doch niemand Konservative und Liberale daran, NGOs zu gründen.
Schröter: Die konservativ-liberale Denkfabrik R21 hat gerade erstmals staatliche Fördergelder erhalten. Sofort wird das von den Grünen in einer unanständigen Weise als Gefahr für die Demokratie skandalisiert. Konservative und Liberale müssen genau damit rechnen. Das ist Kulturkampf.
WELT: Dieser Kulturkampf wird allerdings auch von rechter Seite geführt. Auf linke Identitätspolitik wird längst mit rechter Identitätspolitik geantwortet. In den USA unter Präsident Donald Trump und auch in Deutschland.
Schröter: So ist es. Das ist eines der Probleme. Das Problem des linken Kulturkampfs verdoppelt sich dadurch, dass er durch einen rechten Kulturkampf beantwortet wird. Man kann nur hoffen, dass die weitere Entwicklung nicht so läuft wie in den USA.