28.03.2025, 13.00 Uhr o aus DER SPIEGEL 14/2025
Foto: Alexander Smoltczyk / DER SPIEGEL
Nino Welz kennt sich aus mit Vorschriften. Er ist Feuerwehrmann und Berufspilot und betreibt außerdem noch eine Reinigungsfirma. Er sei auch keineswegs gegen die Europäische Union und deren Vereinheitlichungen, "alles schön und gut. Aber...". Nino Welz schaut durch drei eingetopfte Kirschlorbeerbäumchen hinüber zur Garage. "Ich habe gedacht: Die wollen uns verarschen."
Der kleine Ort Waldstetten liegt oberhalb von Schwäbisch Gmünd und damit in einem Kulturraum, der Schwäbischen Alb, die den Stauferkaiser Barbarossa hervorgebracht und einen Friedrich II. , der als "stupor mundi", als das Staunen der Welt, in den Annalen Wikipedias verewigt ist. Hölderlin, Hegel, Schelling, allesamt als große Dichter und Denker gehandelt, kommen hierher. Da mag es dennoch kleinlich wirken, wenn auf mangelnde Größe hingewiesen wird - und sei es nur in einem Einschreiben vom Landratsamt Ostalbkreis, Geschäftsbereich Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung.
Das Schreiben war vom 4. Februar und begann mit den Worten:
Es waren schlechte Nachrichten.
Nino Welz hatte im Herbst 2022 mit zwei Kumpels, einem Notarzt und einem Rechtsanwalt, ein Start-up gegründet, auf klassische Art in der Garage seiner Eltern in Waldstetten. "Wir wollten Gin brennen. Mehr aus Spaß. Es sollte ein Brand nur aus regionalen Produkten sein, achtfach gebrannt, ohne Zitrusfrüchte und Konservierungsstoffe. Wir nannten es Staufer-Spirits." Ganz im Geist der Staufer.
Das Start-up war ein Erfolg. Bis das Landratsamt eine Ginflasche an das Chemische Untersuchungsamt in Stuttgart zur Erstellung eines Gutachtens schickte. Unter anderem wurde geprüft, ob die Anschrift des Start-ups auf den Ginflaschen den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Und siehe da: "Bei der vorliegenden Probe ergab die Ermittlung der x-Höhe mittels Digitalmikroskop einen Wert von 1,08 mm für 'e' aus 'Hölderlinweg' in der Angabe des Namens und der Anschrift des Lebensmittelunternehmers." Die beiden "e" waren zu klein. Und weil es nach Paragraf 5, Absatz 1 der Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung verboten sei, "vorverpackte Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die Art. 13 Abs. 1 bis 3 VO (EU) 1169/2011 nicht entsprechen", hätten folglich alle bereits ausgelieferten Ginflaschen mit einem neuen Etikett versehen werden müssen oder sonstwie aus dem Verkehr gezogen werden.
Das Gutachten ist mit Anhängen 22 Seiten lang.
"Bei einer Fehlertoleranz von 0,05 Millimeter wären das 0,07 Millimeter, die fehlten. Das ist die Dicke eines blonden Haares." Sagt Welz. War es das, was Robert Habeck gemeint hatte mit seinem Wunsch, "Europa muss groß denken"? Damals, als die Ampel noch Großes vorhatte?
Überraschend war auch, dass sich ausgerechnet der Chef des Landratsamts Ostalbkreis, der CDU-Politiker Joachim Bläse, noch in seiner Neujahrsrede über "völlig überzogene Standards" und Normierungswahn echauffiert hatte.
Welz zeigt auf seinem Handy einen Videoclip, wo eine Lebensmittelchemikerin des Amts sinngemäß sagt: Gesetz ist Gesetz. "Die Schriftgröße ist ein ganz entscheidender Punkt für den Verbaucher selber, um seine Kaufentscheidung zu treffen." Man sieht eine hagere Person, die sehr kompetent wirkt, wenn auch nur bedingt wie jemand, den man sich als Klassenlehrerin gewünscht hätte. Im Sinne des Konsumentenschutzes müsse auch ein kleines "e" in der Herstelleradresse ohne Zuhilfenahme einer Lupe zu lesen sein. Sie sagt: "Für uns hier gibt es keine Toleranz in dem Sinne."
"Das Amt ist korinthenkackerisch unterwegs"
Nino Welz, Start-up-Gründer
Nino Welz hat als Feuerwehrmann unter anderem bei Porsche gearbeitet, im Forschungslabor der Firma. Er ist 32 Jahre alt, wesenhaft eher ein Pragmatiker. Er sagt: "Natürlich muss das Landratsamt einer europäischen Verordnung folgen. Man hätte uns doch anrufen können, und wir hätten die nächste Charge etwas größer drucken lassen. Kein Problem. Das Amt ist korinthenkackerisch unterwegs." Aber alle 200 bereits ausgelieferten Ginflaschen in der ganzen Umgebung wieder einsammeln, neue Folien drucken, alle Flaschen neu etikettieren, beziehungsweise vernichten und wieder ausliefern?
"Das wären", so rechnet Welz vor, "zwei Wochen Aufwand gewesen und hätte uns, den entgangenen Gewinn eingerechnet, circa 10.000 Euro kosten können." Es hätte das Ende der Waldstettener Destille "Staufer-Spirits" bedeuten können.
Welz rief den örtlichen CDU-Landtagsabgeordneten Tim Bückner an. Der wiederum hatte gerade erst seinem Fraktionsvorsitzenden ausgerechnet vier Flaschen Staufer-Gin als Geschenk aus der Heimat überreicht. So kam die Sache mit dem kleinen "e" in die Landespolitik und wurde größer und größer, als dann auch Sat1, "Bild", NDR, sogar die lokale Rems-Zeitung berichteten.
Der allgemeine Tenor war: Auch wenn das Landratsamt sich europäischen Normen zu beugen hat, so übertreibt es in dieser Sache doch sehr.
"Es muss dann einen ziemlich deutlichen Anruf vom Landwirtschaftsminister gegeben haben", sagt Nino Welz. "Jedenfalls teilte mir das Landratsamt jetzt mit, in Anbetracht unserer ergriffenen Maßnahme sei die Sache für sie erledigt." Die alten Etiketten dürften noch aufgebraucht werden. Eine Entschuldigung des Landrats steht noch aus.
So schien alles noch einmal gut gegangen zu sein. Die Marke war jetzt jedenfalls eingeführt. Sogar eine große Lebensmittelkette wird den "Drei Löwen"-Gin, "den mit dem kleinen e", ins Sortiment nehmen. Es bedürfte nur noch einer Zertifizierung und Auditierung, einer Zurkenntnisnahme der 325 folgenden E-Mail-Seiten zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen und des Ausfüllens von 20 Seiten Formularen. Korrekt und bitte leserlich.