Bericht über Flüchtlinge: Mit dem Zweiten sieht man doppelt

Gastbeitrag Von Peter Voß

Peter Voß war Intendant des SWR, stellvertretender Chefredakteur des ZDF und Leiter und Moderator des "heute journals".

23.07.2025, 15:05 Lesezeit: 3 Min.

Das ZDF rückt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in ein schlechtes Licht. Trübe allerdings ist das journalistische Vorgehen von "heute" und "heute journal".

Etwas Schönes ist mir widerfahren. Zweimal in kurzer Zeit ist mir Ariette Timothy Kriu begegnet, schon beim ersten Mal war sie mir auf Anhieb sympathisch. Das war im "heute journal" vom 18. Juli nach einem Bericht über das Gipfeltreffen (im doppelten Sinne), das Innenminister Dobrindt mit europäischen Kollegen auf der Zugspitze veranstaltet hat.

Das Thema: die Verschärfung der EU-Migrationspolitik mittels Zurückweisung illegaler Zuwanderer an den Grenzen der EU oder ersatzweise der Nationalstaaten. Dunja Hayali, routiniert in der Balance zwischen faktennaher Moderation und der kommentierenden Einwerbung von Empathie, lässt uns wissen: "Dabei bleiben allerdings einige Menschen auf der Strecke. So wie die rund 190 Männer und Frauen und Kinder in Kenia. Sie hatten ein ordentliches Aufnahmeverfahren durchlaufen und wurden sicherheitsüberprüft." Das sei schon im Mai gewesen, aber kurz vor dem Abflug sei alles gecancelt worden. "Jetzt scheint der deutschen Regierung Härte wichtiger zu sein als zugesagte Verpflichtungen und internationale Absprachen", so Hayali.

Im Bericht von Jörg Brase wird uns dann eine stark und lebensfroh wirkende Mutter von vier Töchtern nahegebracht - mit ihrer Vorfreude auf die Auswanderung nach Deutschland, wo Ariette als Näherin arbeiten möchte, und ihrer Enttäuschung, weil der Flug abgesagt wurde. Da seien sie und ihre Kinder von ihren Nachbarn verspottet worden. Für den bescheidenen Erlös ihres Hauses hat sie sogar schon warme Winterkleidung gekauft, weil es in Deutschland recht kalt werden soll. Aber Ariette bleibt zuversichtlich, dass sie die Anschaffungen noch brauchen werden, und man hofft mit ihr.

Ein mitfühlender Bericht, der Fragen auslöst

Vor 19 Jahren floh sie aus Äthiopien und lebte im kenianischen Lager Kakuma, wo etwa 300.000 Flüchtlinge hausen, die hoffen, in unsere Breiten zu gelangen. In Brases Beitrag lerne ich auch Campbell Macknight kennen, den Programmleiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR für Ostafrika. Er bescheinigt der deutschen Regierung, sie sei bisher ein verlässlicher Partner gewesen, und glaubt, dass sie das Programm nicht endgültig einstellen wird.

Ein mitfühlender Bericht also, der womöglich nur bei mir ein paar Fragen auslöst. Die 300.000 Flüchtlinge im Lager Kakuma - soll man sie denn alle nach Europa holen oder einige wenige so privilegieren und damit bei all den anderen vergebliche Hoffnungen schüren? Sie werden in Kenia nicht verfolgt, auch wenn sie in schwierigen Verhältnissen leben - wäre es da nicht vernünftiger, mit dem verfügbaren Geld für möglichst viele von ihnen dort bessere Lebensbedingungen zu schaffen?

Muss man stattdessen einige wenige in ein Land holen, dessen Kommunen finanziell ausbluten, weil sie die Migrationslast nicht stemmen können? Oder dient das Programm nur der Behebung des Fachkräftemangels, den es vermutlich auch bei Näherinnen gibt? Und was sagt eigentlich die Bundesregierung zu dem Vorwurf, bestehende Abkommen zu missachten? Ist sie überhaupt um eine Stellungnahme gebeten worden?

Was fehlt dem Ganzen?

Klar, eine aktuelle Sendung kann nicht alle Aspekte aufgreifen. Tatsächlich wüsste ich auch noch gern, wann dieses Programm von wem eingeführt wurde, wer sich außer Deutschland beteiligt, wie vielen Menschen es zugutekam und was es bisher gekostet hat. Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, dass über seine Sinnhaftigkeit jemals öffentlich debattiert worden wäre, aber vielleicht habe ich das verpasst.

Gut, diese Fragen kommen jetzt arg unempathisch daher, typische Steuerzahlerfragen eben und schon als solche moralisch zweifelhaft, oder? Sie können wirklich nicht in einer einzigen Sendung beantwortet werden, ohne diese zu überfrachten, und verlangen vielleicht eher nach einer Vertiefung in einer der Talkshows oder Magazinsendungen.

Stattdessen dann das unverhoffte Wiedersehen mit der liebenswerten Ariette nebst Töchtern (und dem gleichfalls nicht unsympathischen Herrn Macknight) vier Tage später, in der "heute"-Sendung vom 22. Juli. Auch hier ein Bericht über die EU-Innenminister inklusive Dobrindt, diesmal vom offiziellen Migrationsgipfel in Kopenhagen. Im "heute"-Studio unterzieht sich Mitri Sirin der dankbaren Aufgabe, gegen die herzlosen Pläne der Politik den mitmenschlichen Aspekt ins Spiel zu bringen.

Der Einfachheit halber wiederholt man Jörg Brases Reportage vom 18. Juli, freilich ohne das offenzulegen. Vielleicht wurde geringfügig gekürzt und umgestellt, aber Bilder und Aussagen, einschließlich der Originalpassagen von Frau Ariette und Herrn Macknight, sind deckungsgleich, bis hin zum anrührenden Schluss mit den warmen Wintersachen: Mit dem Zweiten sieht man doppelt. Wahrlich, man kann dem ZDF nicht vorwerfen, dass es die Werke seiner Korrespondenten nicht umsichtig amortisiert.

Auch diesmal erfuhr ich freilich nicht, wie nun die Bundesregierung die Entscheidung begründet und ob überhaupt danach gefragt wurde. Doch wieder war es ein herzerwärmendes Stück, und man kann schließlich nicht alles haben.


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