von Elke Bodderas
Redaktorin NZZ Deutschland
01.10.2025, 18.00 Uhr 3 min
Seit dem 1. Januar, so heisst es auf der Website in roter Schrift, dürften "Biozid-Produkte nur noch nach einem Abgabegespräch gemäss §11 der ChemBiozidDV abgegeben werden. Bitte teilen Sie uns Ihre Rückrufnummer mit. Sollte das Abgabegespräch nicht stattfinden, müssen wir Ihre Bestellung stornieren."
Die Belehrung hat laut Vorschrift zwischen drei und fünf Minuten zu dauern und muss durch speziell geschultes Personal erfolgen. Sie umfasst Ratschläge wie den, dass man das Spray nicht gegen sich selbst, nicht gegen seinen Hund und auch nicht auf sein Mittagessen sprühen sollte.
Tatsächlich geht das "Biozid-Selbstbedienungsverbot" auf eine EU-Verordnung zurück. Deutschland hat sie 2021 umgesetzt, mit einer "Ergänzung" auf Druck der Grünen.
Die vormalige Koalition aus SPD, Grünen und FDP stand mit Heizungsgesetz, Zucker-Werbeverbot, Lockdowns und Beinahe-Impfpflicht in dem Ruf, eine Heilslehre durchzusetzen, die zuerst als autoritäre Besserwisserei daherkam und anschliessend vor allem als Irrtum in Erinnerung blieb.
Nun setzt die rot-schwarze Koalition alles daran, in dieser paternalistischen Tradition fortzuregieren.
Die CDU-Gesundheitsministerin Nina Warken etwa plant, das Rauchen im Auto in bestimmten Fällen zu verbieten. Bis zu 3000 Euro sind fällig, wenn da jemand Kinder oder Schwangere als Beifahrer mit blauem Dunst umwölkt. Der Gesetzesentwurf stammt aus Niedersachsen, der Bundesrat hat ihn bereits gutgeheissen. Warken ist ebenfalls einverstanden, will aber noch die Umsetzbarkeit prüfen. Wer all die Sünder ertappen und bestrafen soll, hat sich offenbar noch niemand überlegt.
Auch das "begleitete Trinken" soll ein Ende haben. Jugendlichen im Alter von 15 Jahren wird damit das Glas Wein, Sekt oder Bier selbst dann entwunden, wenn die Eltern danebenstehen und es aus gegebenem Anlass einmal voll in Ordnung finden.
Dieses aufgeregte, wichtigtuerische Gefuchtel mit Verboten, Verordnungen und Gesetzen wirkt wie die Flucht ins Geschäftige vor dem Hintergrund des existenziellen Reformdramas dieser Regierung.
Vor allem der Gesundheitsministerin fehlt zum Staatsentrümpeln die Entschlossenheit. Die Krankenhausreform ruht in der Ablage, die Ideen zur Neuaufstellung der Krankenkassen werden auf die lange Bank geschoben. Und dann steht da noch die Gesundheitsfinanzierung im Alter an. Dass es leichter ist, Grillwürste zu verbieten, als die Wende in der Pflegeversicherung einzuleiten, führte Warken im Sommer vor. Sie trat mit drei verschiedenen Plänen an die Öffentlichkeit, die alle die Hitze zum Thema hatten.
Einer davon, der "Musterhitzeschutzplan für den Breitensport", erregte besonderes Aufsehen. Er gipfelte in der Empfehlung, bei Sportfesten den Grill im Keller und den Kronkorken auf dem Bier zu lassen. Auch ihr Amtsvorgänger Karl Lauterbach hatte sich für zwei Hitzepläne ähnlicher Güte erwärmt. Womit dann im Sommer 2026 fünf amtliche Wege gangbar sind, den Bürger kaltzustellen.
Die Lebenshilfen per Bundesvorschrift sind eine Fleissarbeit der vormaligen Koalition gewesen, unter ihr stieg die Zahl der Bundesgesetze auf 1300. Hinzu kommen die Regularien auf Länder- und Kommunalebene. Sie wuchern ins Unermessliche, Schätzungen gehen inzwischen von mehr als einer Million Vorschriften aus. Auf überregionale Beachtung brachten es das Einweggrillverbot, das Taubenfütterverbot, das Ponyreitverbot, das Sandburgenverbot und das Glasflaschenverbot am Karneval.
Wenn ihm danach ist, steht es jedem Menschen frei, unvernünftig, egoistisch, verschwenderisch, verfressen, klimaschädlich oder lasterhaft zu sein. Das ist sein Recht. Es soll allerdings durchaus vernunftbegabte Bürger geben, die wissen, dass man im Beisein von Kindern nicht im Auto raucht. Indem der Staat sie wie unmündige Trottel behandelt, erzieht er sie erst zu der Unmündigkeit, die er so gerne bekämpft.