Von: FRANK SCHNEIDER UND STEFANO LAURA (FOTOS)
08.03.2024 - 13:42 Uhr
Foto: Stefano Laura
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Essener Tafel versorgen bis zu 6000 Menschen in der Stadt. Doch Tafel-Chef Jörg Sartor (67) macht sich besonders große Sorgen um die Senioren.
"Viele haben deutlich unter 1000 Euro Rente. Das geht für Miete und Nebenkosten drauf, für immer teurere Lebensmittel bleibt dann nichts mehr übrig. Und viele schämen sich, zum Amt zu gehen, wo man ihnen helfen müsste."
Foto: Stefano Laura
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BILD trifft an diesem regnerischen Morgen Ute Graßmann (66). Die Rentnerin hat früher bei RWE gearbeitet, war später Putzfrau. 40 Jahre lange hat sie in die Rentenkassen eingezahlt. Doch sie bekommt zusammen mit der Witwenrente nur knapp 1000 Euro.
"Wenn ich Miete, Strom und Heizung bezahlt habe, war's das. Dann könnte ich noch maximal eine Woche einkaufen und wäre komplett pleite." Ihre Kinder würden ihr mal etwas zustecken. Auch die Menschen bei der Tafel seien eine große Hilfe für sie.
"Von der Politik wurden wir längst vergessen. Für alle ist Geld da, nur nicht für die Menschen, die wie ich immer gearbeitet und drei Kinder großgezogen haben." Sie würde sich zum Beispiel über eine Gutscheinkarte zum Einkaufen freuen. "Wie können Politiker sagen, das sei menschenunwürdig?"
Für Ute Graßmann ist die Tafel auch wichtig, weil sie dort Menschen trifft, die ähnliche Probleme und Sorgen haben. "Hier ist das nicht peinlich, dass man nichts hat. Und uns allen geht es besser, seit wir hier versorgt werden. Gerade ohne Obst und Gemüse würden wir alle auf Dauer krank. Ich könnte dann nur trockenes Brot und Quark essen."
Foto: Stefano Laura
Auch Christa Amend (79) kommt seit Jahren zur Tafel am Wasserturm. "Ich war Rechtsanwaltsgehilfin, habe vier Kinder großgezogen, trotzdem immer gearbeitet und jetzt muss ich praktisch betteln gehen. Das ist unwürdig für so ein reiches Land." Sie zählt auf, dass sie 350 Euro Rente bekommt, dann noch mal so viel Witwenrente, dazu 420 Euro vom Amt. Das reiche aber nur für Miete und Nebenkosten. "Wird ja alles immer teurer. Von den Politikern fühle ich mich vergessen, überall werden Hilfsgelder hingeschickt, aber für die eigenen Rentner reicht es nicht. Das ist hart, wir sind Menschen zweiter Klasse."
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Auch sie ist Jörg Sartor und seinen fleißigen Helfern dankbar. "Die Ehrenamtler machen hier, was eigentlich Aufgabe des Staates wäre. Wer über 40 Jahre gearbeitet hat, müsste davon leben können."
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Werner Held (78) war früher Kraftfahrer. Er soll mit einer Brutto-Rente von 1095 Euro überleben. "Das reicht hinten und vorn nicht. Wenn ich nicht meinen Sohn hätte, der mich unterstützt und hier die Tafel, wäre ich verloren", sagt er. Aus gesundheitlichen Gründen wurde er schon Frührentner. "Vom ewigen Sitzen waren Rücken und Hüfte kaputt, das heißt Pflegestufe 3. Immerhin bekommt mein Sohn deshalb 400 Euro von der Pflegekasse, er hilft mir, wo er kann."
Tafel-Chef zu Kinderarmut "Lindner-Aussage ist die Wahrheit"
Die Aussage von Lindner bestätigt die Erfahrung des Essener Tafel-Chefs.
Der Rentner ist froh, dass es letzten Winter nicht so kalt war. "Ich kann meine Heizung nicht hochdrehen, das ist zu teuer. Ich nehme mir dann zu Hause einen Pullover und eine Decke, das wärmt auch."
Foto: Stefano Laura
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Petra Meyer (63) ist aus gesundheitlichen Gründen seit Kurzem arbeitslos, hat vorher aber 45 Jahre gearbeitet. "Mit dem Bürgergeld und der Miete vom Amt komme ich so gerade über die Runden. Aber da alles teurer wird, bin ich auf die Tafel angewiesen, wenn ich mich halbwegs gesund ernähren möchte. Sonst gäbe es kaum warmes Essen oder Obst und Gemüse." Sie fühle sich abgeschoben. "Dass ich mal so leben würde, hätte ich nie gedacht. Ich habe doch immer gearbeitet und die Beiträge für die Sozialversicherungen bezahlt, aber am Ende wird man zum Bettler."
Tafel-Chef Jörg Sartor: "Wir könnten mit unserem Netzwerk bestimmt noch 500 Menschen mehr versorgen. Aber die dafür notwendigen Räume bekommen wir nicht, obwohl sie uns bereits vor drei Jahren zugesagt wurden. Dabei entlasten wir doch den Staat. Und die Hilfsbedürftigen werden immer mehr."
Wichtig wäre ihm, dass das Amt alle Rentner mit kleiner Rente automatisch ansprechen würde, dass ihnen Hilfen zusteht. Aus Scham würden viele Rentner nicht von selbst dahin gehen.
"Auch bei mir kommen vielen Rentnerinnen die Tränen, weil es ihnen so peinlich ist. Das ist für ein Land wie Deutschland unwürdig, diese Menschen haben unseren Wohlstand aufgebaut und dürfen nicht vergessen werden!"