Zehn Jahre nach Merkels berühmten Satz zur Flüchtlingslage macht sich das ZDF auf den Weg durch Deutschland. Es ist eine spannende Reportage. Wir sehen ein leuchtendes Beispiel - und leider auch, dass Integration bisweilen richtig schlecht funktioniert.
ZDF
Was ist von Kanzlerin Angela Merkel geblieben? Zurzeit, so scheint es, vor allem ihr wohl berühmtester Satz zur Flüchtlingskrise 2015: "Wir schaffen das."
Zehn Jahre ist das nun her. Die CDU-Chefin sagte auch zur Verteidigung ihrer Linie in der Flüchtlingspolitik, sehr emotional war sie da ausnahmsweise: "Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."
Wie ist es um Merkels Land heute bestellt?
Deutschland hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere Land in Europa
Sarah Tacke, ZDF-Reporterin, macht sich auf den Weg quer durch Deutschland. "Am Puls" heißt ihre Sendung, und sie möchte wissen, wie der Puls hierzulande ist. Sind die Menschen der Meinung, Deutschland habe die Herkules-Aufgabe geschafft?
Tausende Menschen sind dem Aufruf des ZDF gefolgt, diese Frage zu beantworten. In der Mehrheit ist das Bild klar: "Den meisten Menschen macht die Migration Angst." Wahr ist: Deutschland hat mehr Menschen aufgenommen als jedes andere Land in Europa.
Salzgitter in Niedersachsen ist wie eine arabische Stadt, sagt ein Syrer
Wir erleben in dieser Reportage des öffentlich-rechtlichen Senders eine ausgewogene Betrachtung.
Allerdings sprechen am Ende auch Fakten. Im niedersächsischen Salzgitter hat sich seit 2015 die Zahl der Syrer verdreifacht. Die Kommune ist längst an ihre Grenzen gekommen. Wie sagt einer: "Salzgitter ist nicht mehr die Stadt, die sie vor zehn Jahren war." Und auch die ZDF-Reporterin befindet, es wirke, als befände sich Syrien in Niedersachsen. Auch das Wort Parallelgesellschaft spricht sie aus.
Haytham ist seit 2015 in Salzgitter und verkauft Textilien. Er ist vor allem wegen des guten Gesundheitssystems nach Deutschland gekommen. Und er sei angekommen in Deutschland, besonders in Salzgitter. Warum? "Das ist wie eine arabische Stadt." Heißt: Man bewege sich unter seinesgleichen, spiele Karten zusammen, treffe sich auf dem Markt oder in der Moschee.
Ausreisepflichtig und gleichzeitig geduldet
Fast eine Million Syrer leben inzwischen in Deutschland. Viele sind straffällig geworden. Einer von ihnen, ein junger Mann in Regensburg, hat ein langes Strafregister. Eigentlich müsste er Deutschland verlassen. Auch hier geht es letztlich um Zahlen. Von insgesamt 221.000 Ausreisepflichtigen in Deutschland sind 178.000 geduldet, können also gar nicht abgeschoben werden. Stefanie, eine Frau aus Salzgitter, die sich lange in der Flüchtlingsarbeit engagiert hat, ist inzwischen desillusioniert: "Es kann nicht sein, dass die Bürger das alles auffangen sollen."
Eine Syrerin freut sich: "Das Jobcenter schenkt Geld"
Am Regensburger Bahnhof hat sich die Zahl der Gewalttaten durch Menschen aus Tunesien, Syrien und Bulgarien inzwischen dramatisch entwickelt. Haben wir es also nicht geschafft. "Ganz im Gegenteil", sagt eine Bürgerin. Eine andere aus Dresden, sie ist Syrerin, ist zufrieden. "Das Jobcenter schenkt uns jeden Monat Geld", sagt sie. In Deutschland leben mehr als die Hälfte der Syrer von Bürgergeld. Ein Zuschauer schreibt Sarah Tacke: "Unsere Kultur und Lebensweise werden aussterben. Was soll daran gut sein?"
In einer Grundschulklasse sprechen nur drei Kinder Deutsch als Muttersprache
In einer Grundschule auf dem Land, so sehen wir, haben nur drei Kinder Deutsch als Muttersprache. 80 Prozent der Grundschüler sprechen kein oder nur rudimentäres Deutsch. "Wir werden alleine gelassen", klagt eine der Lehrerinnen. "Wir bekommen immer wieder Kinder, die gar kein Deutsch sprechen."
Reporterin Sarah Tacke hat den Geflüchteten Niro kennengelernt. Er ist heute Lehrer - ausgerechnet für Deutsch ZDF
Als Muhamad nach Deutschland kam, 19 Jahre alt war er, sprach er auch kein Deutsch. Er kam mit dem Schlauchboot übers Meer, von Griechenland aus schlug er sich mit einem Freund zu Fuß durch. Muhamad heißt heute Niro und hat den deutschen Nachnamen seiner Frau angenommen. Niro ist jetzt 29 und sagt: "Ich fühle mich wohl, ich fühle mich sicher."
Niro ist in Würzburg Lehrer geworden - für Deutsch und Musik. Er spricht akzentfrei Deutsch, wenn man den leichten fränkischen Akzent einmal abzieht. Niro hat ein Fazit für seine persönliche Integration: "Zur Intelligenz gehört auch Anpassungsfähigkeit." Niro ist in der Tat ein leuchtendes Beispiel für gelungene Integration.
Menschen aus der Not gerettet - und Deutschland ist hart auf die Probe gestellt
Leider lernen wir in der Sendung "Am Puls" keinen zweiten Niro kennen. ZDF-Reporterin Sarah Tacke zieht ihr Resümee: "Wir haben es geschafft, Menschen aus Not zu retten." Sie sieht aber auch genauer hin. "Integration scheitert, wenn die Menschen sich nicht anstrengen wollen."
Und deutlich fällt ihre Schlussfolgerung aus: "Das alles stellt unseren Staat auf die Probe, härter, als wir es erwartet haben." Ihre Reportage ist erhellend. Und doch werden jetzt wieder manche hetzen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen obrigkeitshörig und befangen sei.